Anfang der 2010er Jahre verband mich mit Arno Brandlhuber neben einer Freundschaft und geteilten Interessen auch der Versuch, ihn als Galerist zu vertreten – nicht als Künstler, sondern als Architekt, Planer und Aktivist. Wir arbeiteten an einigen Projekten zusammen, die ich hier kurz dokumentiere.
Option Lots
Brandlhuber + Emde, Schneider; Elsa Beniada, Arno Brandlhuber, Markus Emde, Tobias Hönig, Cornelia Müller, Thomas Schneider
„Es ist vielleicht eines der typischsten urbanen Ereignisse in der jüngeren Geschichte Berlins. Sobald die (bauliche) Differenz zwischen bürgerlicher Vergangenheit und modernem Sozialismus in Form der neuen Mischbebauung nicht mehr ganz so ernst genommen wurde, waren architektonische Versprünge und Anomalien die Folge. Was Brandlhuber+ derzeit dokumentiert, ist ein dezentrales Baudenkmal der sozialistischen Postmoderne. Eine Sammlung von Zeitkapseln aus einem Moment, in dem sich das DDR-System bewegte, aber zwischen ideologisch verschiedenen formatierten Raumprogrammen nicht vermitteln konnte und dabei serienmäßig Orte ohne eigene Identität erzeugte, die 30 Jahre lang unbestimmt geblieben sind. In dieser Unbestimmtheit greift Brandlhuber+ sie auf und fragt nach ihren Optionen“ (Alexander Koch für Arch+).
RGB 165/96/36 CMYK 14/40/80/20
Im August 2011 führten die großen politischen Parteien Berlins ihren Wahlkampf für die bevorstehenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Obwohl sie unterschiedliche Programme und Werte vertraten, gab es keine klare Position zur Wohnungspolitik. Um auf diese politische Undifferenziertheit aufmerksam zu machen, startete Brandlhuber+ eine Plakatkampagne: Die Farben der Parteien – SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke und FDP – wurden zu gleichen Teilen gemischt, was einen bräunlichen Farbton ergab: RGB 165/96/36 CMYK 14/40/80/20. Diese Farbe der politischen Gleichförmigkeit und Unbestimmtheit wurde auf Plakate gedruckt, die klandestin im öffentlichen Raum platziert wurden. Die Initiative löste eine öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit einer Repolitisierung der Wohnungsfrage in Berlin aus.
Archipel
Die Ausstellung von Arno Brandlhuber bei KOW war eine echte Belastungsprobe und Grenzerfahrung. Die gefluteten Ausstellungsräume mussten im Anschluss komplett renoviert werden. Hier mein Text zum Projekt (Auszug):
Die Gestaltung sozialer Beziehungen durch Gebautes (= Architektur und Stadtplanung) hat einen eindeutigen Trend: Homogenisierung. Städtischer Lebensraum, der einmal gemeinsam geteilt wurde oder der sich künftig hätte teilen lassen, wird heute in sozialdarwinistische Nischen zergliedert. Auf klar nach Einkommensklassen gestaffelten Stadtinseln versammelt sich seinesgleichen mit seinesgleichen.
In Berlin, wo urbane Heterogenität einmal kennzeichnend war (und sogar Wahrzeichen wurde), zeigt sich die Reorganisation von Stadt besonders deutlich als gezielte Umverteilung der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben: Das Zentrum der Hauptstadt besetzt eine betuchte Klientel rings um neue Prestigewohnanlagen und treibt alle, die nicht mehr mitbieten können oder wollen, in Aussenbezirke. Soziale Archipele entstehen, neue Städte in der Stadt, sie alle ähnlich homogen organisiert: hier die Hartz IV-Empfänger, da eine Künstlerszene, woanders ein Migrantenviertel.
Berlin Mitte wird zur Parallelgesellschaft, die weitere Parallelgesellschaften um sich isoliert. Diese Entwicklung riskiert das Ende der Gemeinschaft, politisch befördert und kommunal subventioniert. Arno Brandlhuber reflektiert sie in seinem Doppelprojekt bei KOW und im NEUEN BERLINER KUNSTVEREIN. Als historische Folie für sein dystopisches Beschreibungsmodell des neuen Berlins zieht er einen utopischen Stadtentwurf zum Vergleich heran: „Die Stadt in der Stadt. Berlin, das Grüne Stadtarchipel“. Dessen Autoren O.M. Ungers, Rem Koolhaas, Hans Kollhoff u.a. rechneten 1977 mit der Schrumpfung der Metropole und schlugen vor, die verbleibende Bevölkerung auf gut funktionierenden urbanen Inseln zu verdichten und strukturschwache Zwischenräume zu begrünen. Heute wächst Berlin, Inseln entstehen dennoch: als Clusterstruktur sozialer Abgrenzung.
Bei KOW rückt der Architekt sein eigenes Stadthaus Brunnenstrasse 9 in den Kontext dieser Problematik. Entworfen als kostengünstiges Gebäude- und Galeriemodell für heterogene Nutzungsinteressen, ist es doch selbst eine jener Mitte-Inseln, die soziale Homogenisierung verstärken. Alle Nutzer des Hauses (KOW, Redaktion 032c, Brandlhubers Architekturbüro und ein Künstleratelier) sind Akteure des kulturindustriellen Archipels, die ihresgleichen anziehen. Dass sie dies kritisch sehen mögen, ändert daran nichts. Drei Jahre nach Eröffnung der Galerie überprüft Brandlhuber nun das gemeinsame Architekturprojekt – einschließlich der Nutzungspraxis von KOW – auf Zugänglichkeit und Kritikfähigkeit. Türen und Tore der Galerie sperrt er demonstrativ auf, blockiert aber das Kellergeschoss, indem er es flutet – eine Rückschau auf den Ausgangszustand der einst feuchten Bauruine, auf der sein Neubau entstand. Das Wasser unterbricht Zugang und Nutzung des Galerieraums, verstärkt als Spiegelfläche indes den optischen Raumeffekt.
https://bplus.xyz/en/projects/0151-archipel
https://www.kow-berlin.com/exhibitions/im-archipel