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Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal (2012)

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Santiago Sierras Wettbewerbsbeitrag für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal war zweifelsohne der radikalste Entwurf dieses Wettbewerbs. Es war undenkbar, dass jemand ihn je umsetzen würde. Er war aber konzeptionell und politisch brilliant, weshalb es uns ärgerte, dass der Vorschlag aus dem weiteren Wettbewerbsprozess herausgenommen wurde.

Als die Ausschreibung für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal öffentlich wurde, schlug ich Santiago Sierra vor, einen Vorschlag zu entwickeln. In Leipzig brachte ich ihn mit einigen der wichtigsten Akteure des Herbst 1989 zusammen, wir machten Ortsbegehungen – und hatten schließlich einen Plan.

Sierra war und ist Anarchist und hat weltweit mit vielen anarchistischen Gruppen zusammengearbeitet. Für ihn war schnell klar: In Leipzig musste eine gegen den Staat und gegen die staatliche Ordnung gerichtete Lösung gefunden werden, wenn das Mahnmal den Kern der Revolution von 89 erfassen sollte, der es ja um nichts anderes ging als eben das: den Staat zu stürzen um sich als Volk auf neue demokratische Weise selbst zu verwalten.

Sein Vorschlag: Der Wilhelm-Leuschner-Platz, wo das Mahnmal „stehen“ sollte und von dem uns aus den Ausschreibungsunterlagen detaillierte Pläne vorlagen, sollte aus dem deutschen Staatsgebiet herausgenommen werden. Mit einem Berliner Verfassungsrechtler erarbeitete ich dann die formalen Schritte, die erforderlich wären, um den Platz als exterritoriales Gebiet zu konstituieren (siehe Texttafeln).

Was auf den ersten Blick wie eine „Idee“ klingen mag ist auf den zweiten Blick voller Fragen und Konsequenzen. Wie würde ein Stadtbevölkerung ein Gelände „gemeinsam“ nutzen und „verwalten“, auf dem z.B. Polizei keinen Zutritt hat. Würde es ein Ort neuer Freiheiten und Möglichkeiten – oder ein Ort neuer Repressionen, voll von Vorschriften und gegenseitiger Kontrolle? Wie würde man die Millionen von Euro einsetzen, die zur Verfügung stünden? Welche Ordnung würden die Leipziger diesem leeren Ort geben, der ihnen übereignet wurde?

Die Eingabe für den Wettbewerb bestand aus zwei DIN-A4-Seiten, die mit einer 1989 in Leipzig geläufigen Schreibmaschine getippt waren – eine formale Hommage an Flugblätter aus dem Herbst 89. Für die öffentliche Präsentation der Wettbewerbsbeiträge standen zwei kleine Stellwandmodule zur Verfügung, deren Größe wir für eine Plakatfassung des Textes nutzen.

Aber wir machten einen Fehler. In den Wettbewerbsbedingungen stand, dass der künstlerische Vorschlag den Wilhelm-Leuschner-Platz materiell verändern müsse. Das hatten wir überlesen… Hätten wir geschrieben, dass mit einem Bleistift eine Linie um den Platz gezogen werden soll, ehe er aus deutschem Staatsgebiet entfernt wird, wäre der Beitrag gültig gewesen. So aber war es leicht, ihn aus formalen Gründen zu disqualifizieren, was einige Jurymitglieder (jene, die etwas von Kunst verstanden) fast zum Austritt aus der Jury bewegte.

Die beiden Textplakate wurden in darauffolgenden Jahren gelegentlich als Sierras „Conceptual Monument“ ausgestellt, ohne dass der Kontext nachvollziehbar war. Schade.

www.santiago-sierra.com


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