Die Märkte, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2015 und stoßen immer tiefer in ökonomische Dimensionen vor, die nie jemand sah. Dieses historische Großprojekt, das keiner geplant hat und das niemand kontrolliert, zieht immer mehr Menschen in seinen Bann. Tolle Algorithmen errechnen Artist-Rankings und spucken wöchentlich neue Buy-And-Sell-Listen aus, fantastische Titanen bewerfen sich mit Museumskolossen, Blue Chips steigen wie Raketen und verglühen manchmal in Spekulationsblasen. Und schon wieder geht ein Jet zur nächsten Messe. Wir staunen und scrollen auf unseren Screens nach unten, um zu sehen, was als Nächstes kommt – während einige, und zu ihnen gehört Stefan Kobel, mit der Taschenlampe im Maschinenraum unterwegs sind, um nachzuschauen, welche Kräfte da am Ruder sind, wer welches Rädchen ölt, wo es klemmt.
Ich habe mich mal bei Stefan beklagt, wie lausig viele Kunstkritiken sind: einfältige Kolportagen aus dem Lifestyledrumherum des Kunstgeschehens, impressionistische Segelturns auf der lauen See unverstandener Phänomene, notorisches Abschreiben von Pressemitteilungen durch Berufsfeuilletonisten. Deshalb, so Stefans Antwort, sehe er sich als Journalisten. Journalismus heißt, jemand hakt nach, nennt Namen und Zahlen, macht Zusammenhänge klar, die man nicht sieht. Und genau das, so Stefan, passiere viel zu selten. Journalismus, so das ethische Credo der Zunft, ist der Wahrheit verpflichtet. Kommt ihnen nicht auch ein Schmunzeln bei dem Versuch sich vorzustellen, dieses Credo würde in der Kunstwelt gelten? Meine Güte wäre da was los! Intransparenz und Kunstmarktgeschehen sind bekanntlich synonyme Begriffe. Stellen Sie sich mal vor, wenn das ein Ende hätte. Von den Cayman-Inseln bis London City und von Köln bis Abu Dhabi würden die Bildschirme flackern und manche Herzen ihren Takt ändern, wenn die Realökonomie der Kunst öffentlich würde.
Ich habe ein paar Kollegen von Stefan gebeten, mir ein kurzes Statement über ihn zu schicken. Kolja Reichert, 2012 selbst Träger des Preises für Kunstkritik, schrieb mir: “Man stelle sich mal vor, Kunstkritiker wären für die Politik- und Wirtschaftsteile der Zeitungen zuständig. Wir würden in einer Feudalgesellschaft voller Korruption leben – so wie sie der Kunstbetrieb ist, wenn auch in sanftem Gewand. Vielleicht ist ein investigativer Marktjournalismus heute wichtiger als das ästhetische Urteil.” Die Pointe ist klar: It’s the economy, stupid! Stefan Kobel gehört zu den wenigen unabhängigen Köpfen, die etwas Licht ins Mysterium der Zahlen und Werte bringen. Aus dem studierten Kunsthistoriker, der 2001 die Promotion hinschmiss, um für das Onlinemagazin kunstmarkt.com zu schreiben – ein Abenteuer, das nach sechs Wochen endete – ist ein Marktexperte geworden.
Auch wenn er kürzlich spitz einige Sammler als Trophäenjäger bezeichnete, „die mit den Ohren Wandschmuck für ihr Dritt- oder Viertdomizil in London oder Paris kaufen“, ist er vor allem eine Stimme der Rationalität, die auch wenn sie humorig wird bei der Sache bleibt. Er kann uns erklären, wie sich makroökonomische Entwicklungen in der Kunstwelt spiegeln. Er kann sagen, ob ein neuer Kunsthedgefonds Mumpitz ist und wer diesen Mumpitz verzapft hat, wer welche Messen aufkauft und warum, wer den Markt für chinesische Vasen, holländische Stillleben des 17. Jahrhunderts oder den deutschen Expressionismus kontrolliert, oder in irgendeinem Stiftungsrat für das sorgt, was wir dann – in der Regel meist ohne Namen und Hintergrundmotive – später in der Zeitung lesen.
Das Handelsblatt von diesem Wochenende würdigt Stefan Kobels Hintergrundwissen: „In Bilanzen entdeckt er Unstimmigkeiten zwischen Euro und Dollar, (…) und er setzt sich auch dann in eine Hauptversammlung eines Datenbank-Anbieters, wenn die Sitzung länger dauert als ein Arbeitstag Stunden hat.“ Astrid Mania, Trägerin des Kritikerpreises 2013, unterstreicht das: „Stefan ist in seiner Preis- und Provenienzforschung so beharrlich wie ein Terrier, der sich in eine Wade verbissen hat. Und das meine ich durchaus – dieses Wort mag Stefan übrigens sehr – liebevoll.“ Georg Imdahl pflichtet bei: „Stefan hat einen Überblick über den internationalen Handel und damit ein fundiertes Wissen über Bewegungen und Preisverläufe zahlreicher Kunstwerke auf dem Markt, das manchen Anbietern wohl nicht gefallen kann.“ „Seine Spezialität ist, die Strippenzieherei im Hintergrund zu beleuchten“, sagte mir Christiane Fricke vom Handelsblatt und fügte hinzu: „Ich schätze seinen Mut, auch den zur Süffisanz und Ironie.“
All das ist nachzulesen in Kobels Artikeln für artmagazine.cc, das Handelsblatt, den Tagesspiegel, Monopol; im Laufe der Jahre schrieb er sich quer durch die meisten deutschsprachigen Zeitschriften, Kunstmarktseiten und Feuilletons. Erwähnenswert sind seine teils besonders bissigen Texte für das artnet Magazin 2007 bis 2010. Kobels Kunstwoche, die jeden Montag auf der Website zilkensfineart.com erscheint, ist der Perlentaucher der Kunstmarktberichterstattung, geschrieben in weißer Schrift auf freudlos grauem Grund, der gefühlt so neutral ist wie die Graukarte, mit der Fotografen die Realitätsnähe ihrer Bilder justieren. Das Vergnügungsbarometer bleibt bei der Lektüre manchmal eher im unteren Drittel, Präzision geht vor Pointe, Information vor Gerüchteküche, und wenn Stefan aus letzterer berichtet sortiert er für uns sorgfältig die Wahrscheinlichkeiten im undurchsichtigen Indizienwald.
Stefan weiß, dass das öffentliche Bild der zeitgenössischen Kunst schief hängt. Während manche seiner Kolleginnen und Kollegen die Menschen glauben machen, die Kunst sei ein Tummelplatz der Reichen und Schönen, die zwischen Miami und Venedig ihr kleines Hollywood veranstalten, klappert Stefan weltweit Messen, Biennalen und Galerien ab, um für uns ein differenzierteres Bild zu zeichnen. Er weiß und sagt auch, dass Messen wie die Art Cologne kein Barometer der zeitgenössischen Kunst sind, sondern nur jenen Ausschnitt wiedergeben, der als handelbare Ware in Kojen und Wohnzimmer passt und eher seltener als häufiger öffentliche Relevanz besitzt. Er schreibt auch unterhalb der 100.000-Dollar-Marke, schaut auf die ganze Breite des Mittelfeldes, gerne auch dahin wo es gerade nicht heiß her geht, würdigt gute Arbeit, wo sie geleistet wird und meckert, wo nicht.
Das journalistische Beharren auf Objektivität, Ausgewogenheit und Transparenz ist eine emanzipatorische Tugend. Aber Emanzipation, das vergisst man in der Kunstwelt gerne, ist oftmals Basisarbeit. Mühsam, unsexy, voraussetzungsreich. Legendär sind in diesem Zusammenhang übrigens die Schnappschüsse von Stefans Hotelzimmern, die er in Serie auf seiner Facebookseite postet. Manchmal leide ich mit ihm, wenn er einmal mehr irgendwo angekommen ist, wo man lieber gleich wieder weg möchte. An dieser Stelle muss übrigens mal gesagt werden, dass all der Luxus und das viele Geld, von denen oft die Rede ist, wenn von Kunst gesprochen wird, an einer Stelle niemals ankommen: Bei den Kritikern. Alle anderen Akteure im Kunstbetrieb haben zumindest die Aussicht, etwas vom monetären Kuchen abzubekommen. Seriöse, unabhängige Kritik nicht. Und täglich vorurteilsfrei die Gewinnaussichten Dritter zu analysieren ohne diese Aussichten zu teilen, verlangt unseren größten Respekt. Auch dem, finde ich, gilt die Anerkennung mit diesem Preis.
Werte Festgemeinde, die Jury wollte offensichtlich ein Zeichen setzen. Sie würdigt mit Stefan Kobel eine „unabhängige Instanz auf einem Gebiet, auf dem eigenständige Berichterstattung und unabhängige Urteilskraft viel zu häufig Mangelware sind.“ Lieber Stefan, der deutsche Kritiker Wolfgang Max Faust schrieb vor 20 Jahren in sein Tagebuch: „Was geschrieben wird hat wenig mit dem zu tun, was gelebt wird.“ Wir brauchen dringend Terrier, die die Courage haben, in die richtigen Waden zu beißen und trocken und sachlich gegen die teils schöngeistige Verharmlosung, teils comichafte Überzeichnung des Kunstgeschehens anzuschreiben. Und ich würde dir gerne auch einen Schubs mitgeben: da ist noch Luft nach oben. Investigativer Marktjournalismus kann heute vielleicht mehr als jedes andere schreibende Genre davon erzählen, was im Kunstbetrieb wirklich gelebt wird. Ich gratuliere dir.