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Die Schokoladenskulpturen von CATPC

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Die Plastiken des Cercle d’Art des Travailleurs de Plantation Congolaise (CATPC) erstaunten das deutsche und internationale Publikum, als sie im Mai 2015 in Berlin bei KOW zu sehen waren. Die formale und erzählerische Ausdrucksstärke der sieben präsentierten Werke von Mathieu Kasiama, Mbuku Kimpala, Thomas Leba, Jérémie Mabiala, Daniel Manenga, Emery Muhumba und Cedrick Tamasala schien professionellen Beobachtern wie privaten Liebhaberinnen offensichtlich, während die technische Herstellung der Plastiken und ihre ökonomische und konzeptionelle Verknüpfung mit den Aktivitäten des Institut für Human Activity, IHA, und mit der künstlerischen Praxis Renzo Martens Fragen aufwarf, von denen ich hier einige beantworten will.

Um die in Schokolade gegossenen Büsten und Statuen korrekt beschreiben und verstehen zu können, muss ihre Herkunft aus dem Zusammenspiel verschiedener Akteure und Produktionsschritte erklärt werden. Für die Konzeption, Produktion und Distribution der Plastiken und des Gesamtprojektes in Lusanga, DRC, ist ein Netzwerk von Personen und Organisationen verantwortlich, die verschiedene Rollen übernehmen. Ich werde zunächst den technischen Vorgang schildern und beschränke mich dabei auf diejenigen Faktoren, die für die bildhauerische Produktion der CATPC direkt relevant sind. Anschließend gehe ich auf konzeptuelle und soziale Aspekte dieser Produktion ein.

Die Plastiken der CATPC haben ihren Ausgangspunk in Workshops mit Plantagenarbeiter:innen aus Lusanga und Umgebung, die ab August 2014 geleitet wurden von Michel Ekeba, Eléonore Hellio und Mega Mingiedi, Künstler:innen aus dem 800 Kilometer entfernten Kinshasa. Biografische Geschichten, persönliche Erinnerungen und der kritische Blick der Teilnehmenden auf ihre Lebensumstände inspirierten Selbstportraits und allegorische Figuren, die in Tonerde ausgeführt und anschließend mithilfe eines 3D-Scanners digitalisiert wurden. Über Internet wurden diese Daten an das Büro des IHA versendet, das die Reproduktion und Distribution der Werke von Amsterdam aus koordiniert. Per 3-D-Druck wurden exakte Repliken gefertigt, die als Urform für die Erstellung von Abgussformen zur weiteren Vervielfältigung dienten. Holländische Chocolatiers gossen sodann Kopien der Werke aus Roh-Schokolade, die die französisch-belgische Firma Barry Callebaut zur Verfügung stellte, einer der führenden Schokoladenzulieferer. Verpackt in Transportkisten erreichten die Schokoladenplastiken schließlich mit Kunstspediteuren ihre verschiedenen Zielorte: Museen, Kunstzentren, Galerien, Messen, Privatsammlungen.

Dieser Produktionsvorgang klingt nicht weiter kompliziert, ist jedoch technisch und logistisch anspruchsvoll und bedarf mehrerer Dutzend Akteure. Für die konzeptuelle und ästhetische Dimension der Plastiken ist er von zentraler Wichtigkeit, ebenso für die unterschiedliche Bedeutung der Werke einerseits am Entstehungsort Lusanga und andererseits an den primären Orten der Rezeption und Distribution, dem europäischen bzw. westlichen Kunstbetrieb. Die Wahrnehmungsperspektiven der Autor:innen, Vermittler:innen und Rezipient:innen der Plastiken sind insbesondere hinsichtlich ihrer materiellen und ideologischen Voraussetzungen verschieden. Diese Differenz ist den Objekten eingeschrieben – und wird zugleich von ihnen teilweise überbrückt.

Das Ausgangsmaterial Lehm ist in Lusanga so natürlich wie reichlich vorhanden und vergleichsweise einfach zu gestalten. Für den internationalen Versand ist es aber ohne technische Stabilisierung ungeeignet, zu schwer und zerbrechlich. Zudem besteht zwischen Lusanga und den Ausstellungsorten keine bzw. eine äußerst aufwändige Infrastruktur. Hingegen sind die Transportwege für die in Lusanga und Umgebung angebauten Rohstoffe, zu denen neben Palmöl und Kautschuk auch Kakao gehört, funktional und effizient. Der Rohstoffexport ist die einzige direkte Verbindungslinie zwischen den Plantagenarbeiter:innen und der fernen Industrie- und Konsumwelt. Diese Verbindungslinie führt unter anderem nach Amsterdam, dem größten Kakaohafen der Welt.

Indem die Plastiken der CATPC aus dem nach Holland verschifften und dort zu Schokolade veredelten Roh-Kakao gefertigt werden, der teils von kongolesischen Plantagen, teils aus anderen Teilen der Welt stammt, nutzen sie die vorhandenen Exportwege und kolonialen Handelsrouten und durchlaufen dabei eine mehrfache Transformation. Die Entmaterialisierung der Objekte durch den 3-D-Scan in Lusanga verwandelt sie in digitale Information, die nach kurzem Internet-Transfer in Holland weiterverarbeitet wird. Neben dem Rohstoff Kakao kommt so auch die wertvollste Komponente der bildhauerischen Reproduktionen aus dem Kongo: die künstlerischen Formen und Narrative, und mit ihnen die Ausdruckskraft und Subjektivität der Künstler:innen aus Lusanga, die Quintessenz der Kunstwerke.

Dabei brechen die Schokoladenrepliken – es entstehen Auflagen von fünf Stück pro Motiv – mit westlichen Klischees der auratischen Aufladung afrikanischer Skulptur. An der Oberfläche der Plastiken sind Strukturen des 3-D-Druckverfahrens gut erkennbar. Sie belegen den maschinellen Fertigungsprozess und die technologisch überbrückte Distanz zwischen dem Herkunftsort und den Rezeptions- und Distributionsorten der Werke. Deren unzweifelhafte ästhetische Wirkung lässt sich somit nicht ungebrochen ihrer Authentizität zuschreiben. Stattdessen mischt sich in diese Wirkung die kulinarische Wertdimension der Schokolade, die Attribute wie Genuss, Raffinesse und Geschmack mit sich führt und dabei fast unvermeidlich satirisch auf traditionelle wie triviale Wertedimensionen der Kunst verweist.

Weitere Aspekte der Schokoladenplastiken sind ihr Alterungsprozess und ihre Wärmeempfindlichkeit. Oberhalb von 26 Grad Celsius beginnen sie zu schmelzen und würden demnach in Lusanga nur wenige Tage überstehen, während sie in klimatisierten Museen und Privatsammlungen einige Jahrzehnte gut überdauern. Mit dem Erwerb einer Plastik ist die zertifizierte Garantie verbunden, bei Schäden oder Zerstörung für geringe Produktionskosten eine frische Kopie fertigen zu können, die dafür nötigen Datensätze bleiben langfristig erhalten. Und so lassen sich die Objekte prinzipiell auch ohne Verlust des eigentlichen Werkes aufessen und ersetzen. Diese buchstäbliche wie symbolische Einverleibung afrikanischer Skulptur durch ihre Konsumenten darf als in den Werken konzeptionell angelegt gelten.

Eine bemerkenswerte Beobachtung während unserer Ausstellung in Berlin waren verwunderte Kommentare von Besucher:innen, die Plastiken „sähen gar nicht Afrikanisch aus“. Sie würden eher an Skulpturen der europäischen Gotik erinnern. Aufschlussreich daran ist das kulturelle Missverständnis bzw. die historische Unkenntnis hinsichtlich der Kolonialgeschichte. Nachdem Missionare und Kolonialbesatzer die kulturellen Identitäten und Narrative mit christlichen Motiven und Allegorien überschrieben und die einstmals berühmte Skulpturenproduktion im Kongo weitgehend tilgten, kehren mit den Plastiken der CATPC die Folgen dieser gewaltsamen Transformation als Werke nach Europa zurück, die dem dortigen Publikum aufgrund des eigenen Einflusses unauthentisch und fremd scheinen. Eine nicht unwesentliche Pointe.

Renzo Martens Initiative im Kongo, die am Anfang der Gründung des IHA und der CATPC steht, zielt im Anschluss an Martens Film „Enjoy Poverty“ darauf ab, die Komplizenschaft der zeitgenössischen Kunst mit den Mechanismen kolonialer Ausbeutung und wirtschaftlicher Ungleichheit nicht nur offenzulegen, sondern diese Komplizenschaft dafür zu nutzen, um ein gleichermaßen künstlerisches wie ökonomisches Handlungsmodell zu entwickeln, das Ungleichheit entgegenwirkt. Kurz zusammengefasst: Wenn Zeitgenössische Kunst inmitten ihrer neofeudalen und neokolonialen Produktionsbedingungen die kritische Reflexion von Ungerechtigkeit in Mehrwert verwandeln kann, kann sie diesen Mehrwert auch dort hervorbringen, wo diese Ungerechtigkeit ihren materiellen Ursprung hat: an den Orten der Armut und Privilegienlosigkeit, auf denen der westliche Wohlstand basiert?

Für die Plantagenarbeiter:innen der CATPC, von denen heute die ersten damit begonnen haben, sich aus der lohnabhängigen Beschäftigung auf der Plantage zu lösen und auf das Risiko und das Versprechen einer künstlerischen Existenz einzulassen, darf man über drei Motive für ihren Rollenwechsel mutmaßen: Erstens die Befreiung aus finanzieller Misere. Zweitens die Hoffnung auf eine selbstbestimmte Existenz einschließlich eines selbstbestimmten Ausdrucks mittels künstlerischer Formen. Drittens eine Teilhabe am globalen Gespräch über die Bedingungen ihres Lebens. Noch ist dieser Rollenwechsel ein Experiment und eine finanzielle Projektion. Seine Nachhaltigkeit muss sich erst noch erweisen. Er ist von vielen externen Faktoren abhängig und findet einstweilen noch unter den Bedingungen der Partizipation an neokolonialen Wertschöpfungsketten statt.

Während ich über die Interessen und die Zukunft der Plantagenarbeiter:innen der CATPC von meinem Berliner Schreibtisch aus mutmaße wird klar, wie verschieden sich die sozialen, wirtschaftlichen und inhaltlichen Dimensionen derselben Plastiken aus verschiedenen Blickwinkeln darstellen. Unsere Galerie KOW ist einer jener Kunstschauplätze, an denen soziale und ökonomische Ungleichheit aus einer privilegierten Position kritisch reflektiert wird und von denen Renzo Martens richtig sagt, dass sie diese Ungleichheit verstetigen oder sogar verschärfen, indem sie aus künstlerischer Kritik den Profit schlagen, der üblicherweise in den westlichen Kunstmetropolen akkumuliert wird.

Das wirtschaftliche Grundmodell zeitgenössischer Kunst basiert auf gestohlenem Geld, geraubter Lebenszeit und zerstörter Kultur. Ohne die anhaltende koloniale Ausbeutung des globalen Südens durch die Industrieländer, ist die Funktionsweise des westlichen Kunstsystems nicht erklärbar . Plastiken der CATPC in Ausstellungen und auf Kunstmessen zu vermitteln und zu verkaufen, bedeutet aus Berliner Sicht eine Konfrontation mit der eigenen Geschichte und Gegenwart sozialer Gewalt und geht währenddessen mit der Hoffnung einher, das ethische und strukturelle Dilemma des Verstricktseins in diese Gewalt – so unbeabsichtigt es auch sein mag – so zu exponieren, dass es nicht länger als Blinder Fleck des eigenen und des öffentlichen Kunstverstandes fortbesteht.

Eine weitere Hoffnung liegt darin, an einem alternativen Modell mitzuwirken und von ihm zu lernen, das zweifellos seine Fallstricke hat, während es den Versuch unternimmt, ideologische Parameter, symbolische Kapitalien, materielle Ressourcen und soziale Privilegien der Kunstwelt so zu reorganisieren, dass sie Ungleichheit faktisch schmälern, statt verstärken. Dieses Modell hat viele ökonomische Aspekte von denen einer ist, dass die Gewinne aus Verkäufen von Plastiken der CATPC zu 50 Prozent nach Lusanga fließen, während die anderen 50 Prozent des Gewinns wie üblich bei der Galerie in Berlin verbleiben. Es gilt nicht, eine Ausnahme von der Regel zu kreieren, sondern eine veränderte Akteurs- und Beziehungskonstellation.

Das Zusammenführen von lokalem Wissen, digitaler Technologie und globaler Kommunikation gilt heute vielerorts als Versprechen auf nachhaltige soziale Innovation und ökonomische Veränderung, die sich offline vor Ort manifestiert. Die Plastiken der CATPC lassen sich in diesem Zusammenhang als konzeptuelle Werke aus dem Geiste neuer Kollaborationsmodelle begreifen und diskutieren. Daneben sind es zugleich schlicht bestechende bildhauerische Werke aus unverhoffter Künstlerhand, die es einmal mehr schwer machen, die Ausdrucksprivilegien Einiger gegen die vermeintliche Stimmlosigkeit Anderer zu verteidigen, einschließlich der an diese Privilegien gebundenen Ökonomie.


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