KOW Berlin
Mit Chto Delat, Alice Creischer, Eugenio Dittborn, Heinrich Dunst, Barbara Hammer, Ramon Haze, Hiwa K, Renzo Martens, Chris Martin, Frédéric Moser & Philippe Schwinger, Mario Pfeifer, Dierk Schmidt, Tina Schulz, Michael E. Smith, Franz Erhard Walther, Clemens von Wedemeyer, Tobias Zielony, kuratiert von Alexander Koch und Nikolaus Oberhuber
Die meiste Kunst bleibt im Dunkeln. Lungert in Depots, liegt in Grafikschränken, genießt Klimaschutz in Freihandelslagern und Museumskellern oder verstaubt auf dem Dachboden. Dann und wann kommt das eine oder andere davon ans Licht, aber gefühlte 90 Prozent öffentlicher und privater Kunstbestände finden sich – meist dauerhaft – hinter Schloss und Riegel.
Das ist bei uns nicht anders. Nur sollte die Kunst, die KOW an drei Standorten und in zahlreichen Festplatten auf dem Speicher hat, dort eigentlich gar nicht sein. Sie gehört nicht uns, sondern den KünstlerInnen und Künstlern, und uns allen wäre es lieber, sie befände sich bereits woanders. Einstweilen aber steht sie im Regal und wartet: verbliebene Ausstellungsstücke und liegengebliebenes Messegut, Atelierwerke und Biennalen-Projekte, manch schwer vermittelbare Fälle ästhetischer Produktion, die in Holzkisten und Pappkartons, Mappen und Dateiordnern mit uns auf bessere Zeiten hoffen. Einiges davon zirkuliert im Ausstellungsbetrieb und kehrt zu uns zurück. Galerien sind nicht zuletzt Verleih- und Logistikbetriebe.
Nun machen wir uns selbst die Freude, einige der Arbeiten, die wir schätzen, aufbewahren und verwalten, über den Sommer ans Licht zu holen. Darunter Objekte der Künstlergruppe Ramon Haze, die wir zu den signifikantesten Positionen der Neunzigerjahre in Leipzig zählen, und die heute weitgehend vergessen ist. In einer Zukunft, die keine Kunst mehr kennt, rekonstruiert der Sammler-Detektiv Ramon Haze Fragmente der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts – und bringt dabei einiges durcheinander. So klassifiziert er Eimerbomben von Andreas Baader und Küchenfliesen der unbekannten Ruth Tauer ebenso als bedeutende Werke der Vergangenheit wie Jeff Koons’ schwimmende Basketbälle; drei Arbeiten aus Hazes Sammlungsarchiv, das einst mehrere Fabrikhallen umfasste. Für Franz Erhard Walther galt seit den Sechzigerjahren der Lagerzustand seiner meist aus Stoff gefertigten Objekte als gleichwertig mit deren Aufführung bzw. Benutzung. Ob eingefaltet und verpackt oder ausgebreitet und in Aktion, für Walther sind dies nur verschiedene Aggregatzustände seiner offenen Werkform. Für die meiste Kunst trifft das freilich nicht zu. Für sie gilt: Weg ist weg.
Hinter Kistenholz und Luftpolsterfolie liegt das dunkle Reich ästhetischer Ereignislosigkeit. Das Thema ist ein kunsttheoretischer Klassiker: War die Venus von Milo ein Kunstwerk, während sie all die Jahrhunderte unter der Erde lag? Potenziell ja. Faktisch nein. Chris Martins Atelier in Brooklyn füllte sich ab Mitte der Achtzigerjahre mit hunderten meist großformatiger Gemälde und schwoll allmählich zu einem gewaltigen Magazin an, aus dem nur wenige Bilder den Weg nach draußen fanden. Erst vor knapp zehn Jahren begannen sich die Bestände zu lichten, seit Martin international Beachtung fand. Mit „St. John of the Cross“ zeigen wir ein Hauptwerk der Neunzigerjahre, das seit seiner Retrospektive in der Kunsthalle Düsseldorf 2011 bei KOW parkt. Für Eugenio Dittborn war es die geografische und kulturelle Isolation Chiles während der Pinochet-Diktatur, die seine Arbeit von einer breiteren Öffentlichkeit fernhielt. So nutzte Dittborn ab 1986 den Postweg, um seine Malerei auf gefalteten Stoffbahnen als Pinturas Aeropostales außer Landes zu bringen und am internationalen Ausstellungsgeschehen teilzunehmen.
Renzo Martens wiederum nutzt das Internet, um die schweren Ton-Plastiken der Congolese Plantation Workers Art League, statt sie umständlich aus dem Kongo nach Europa zu verschiffen, als 3D-Datensätze zu versenden, in Holland aus Schokolade nachformen zu lassen und in den westlichen Kunstmarkt einzuspeisen. „Warum hab ich Schulden gemacht?“ fragt Dierk Schmidt 1997, während Alice Creischers Show Master Jacket von 1999 mit bissigem Witz die Gewinnversprechen des Galeriebetriebs kommentiert. Clemens von Wedemeyer setzt 2004 das Leipziger Bildermuseum als Obdachlosenunterkunft in Szene. Barbara Hammer dokumentiert 1972 ihre feministischen Guerilla-Aktionen in leeren Museumssälen – 40 Jahre lang lagerten ihre Fotografien ungesehen in ihrem Atelier. Daneben zeigen wir Videos aus dem Frühwerk von Frédéric Moser & Philippe Schwinger und Auszüge aus raumgreifenden Inszenierungen des russischen Kollektivs Chto Delat. Ebenso mit dabei sind Heinrich Dunst, Hiwa K, Mario Pfeifer, Tina Schulz, Michael E. Smith und Tobias Zielony.
Alexander Koch
Juni 2016