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Casa Negra. Marco Castillo, KOW

Marco Castillo, Casa Negra, 2022

Seit 2019 lebt Marco Castillo mit seiner Familie im Exil in Mexiko. Seine neue Ausstellung bei KOW thematisiert die Zensur und Repression in Kuba, die sich in den letzten Jahren verstärkt haben und sich in ihrer Ausübung und Wirkung von der Gewalt manch anderer Regime dadurch unterscheiden, dass sie – nun ja, man könnte sagen: partizipativer sind. Ausdruck einer „guten“, linken Regierung und ihrer engagierten Citoyens, deren gemeinsame innere Gewaltmaßnahmen im Ausland oft unbekannt sind.

Casa Negra, 2022

Castillos neuer Film Casa Negra (2023) zeigt eine von Fidel Castro eingeführte und seit den Sechzigerjahren übliche Praxis der kollektiven Brandmarkung von „Abweichlern“, kritischen oder sonst wie anders denkenden Menschen, die in den Augen des Regimes und mancher Mitbürgerinnen und -bürger Feinde der Revolution sind. Ob Künstler, Intellektuelle, Liberale oder Bourgeois. Eine Meute aufgebrachter Leute bemalt mit Tumult und unter heftigen Diskussionen die Fenster und Türen, die Fassade und den Vorplatz eines Wohnhauses, samt Pflanzen und Kübeln pechschwarz. Im Haus eine Frau und ihr Kind, die beschimpft werden für ihre Art zu leben. Es sind Szenen wie aus Zombiefilmen, in denen sich die Bestien das Innere einer ganz normal erscheinenden Welt erstürmen wollen.

Aber hier sind es keine Bestien, sondern Kolleginnen und Nachbarn der Opfer. Und die Szenen sind nicht Fiktion. Eher ein Reenactment. Marco Castillo hat gesammelt und dann filmisch rekonstruiert, was seit Beginn der sozialen Medien in Kuba vielfach von Betroffenen gleichartiger Aktionen live dokumentiert wurde. Die Dialoge im Film sind sämtlich collagiert aus hitzigen Diskussionen und Beschimpfungen, die per Video festgehalten wurden. Castillo erzählt KOW am Telefon, dass diese Übergriffe als Bestrafungen für unsolidarisches Verhalten gegenüber dem kubanischen Volk und seiner sozialistischen Revolution vom Geheimdienst und der Polizei angestachelt werden, und dann mal aufgrund von Erpressung, mal aus innerer Überzeugung von Akteuren aus dem eigenen Lebensumfeld exekutiert werden.

Castillo erzählt auch, dass er als Kind selber an ähnlichen Aktionen mitgemacht hat, was ihn später und seither beschämte. Er kenne die Situation aus eigenem Erleben. So auch die Darsteller im Film. Sie alle sind Exilkubaner, die wie Castillo in Merida, Mexiko, leben, einer Havanna ähnelnden Stadt, die seit langem ein Zufluchtsort emigrierter Kubaner ist und wo der Film gedreht wurde. „Ich musste ihnen gar nicht sagen, was sie tun sollten. Sie alle kannten diese brutalen Rituale und wussten genau, wie sie ablaufen. Es ist so etwas wie eine Tradition, ein Stück Folklore. Die Unterdrückung in Kuba ist eine kollektive Angelegenheit, an der wir alle irgendwann mitgewirkt haben. Da ist fast niemand frei von eigener Schuld, ich auch nicht.“

Water Paintings, 2018

2018 wurde in Kuba ein neues Gesetz eingeführt, das nur solchen Personen die Ausübung einer künstlerischen Tätigkeit gestattet, die über einen staatlichen Künstlerpass verfügen. Akribisch listet der Gesetzestext auf, was Künstlerinnen und Künstler alles tun dürfen und was nicht, wenn sie diesen Pass bekommen wollen. Zum Beispiel ist es verboten, Personen aus der Politik in Werken abzubilden, es sein denn in lobender Weise. Hat man den Pass nicht, bedeutet das nicht nur Berufs- und Verkaufsverbot. Jegliches Verhalten als Künstler, ob öffentlich oder privat, ist dann zu unterlassen.

Marco Castillo und einige Mitstreitende versuchten erfolglos, mit der Regierung über das Gesetz zu verhandeln. Es trat in Kraft. In diesen Tagen und Wochen malte Castillo die Reihe weißer Bilder, die bei KOW nun erstmals außerhalb von Kuba gezeigt werden. Die staatlichen Kunstinspektoren überwachten das künstlerische Schaffen genau. Bei Nacht spannte er Leinwände auf Rahmen, grundierte sie und malte auf ihnen mit Wasser, dessen Spuren bald verschwanden. Nicht leere Leinwände sind nun zu sehen, sondern unmögliche Bilder, die akribisch und vielleicht virtuos und gelungen gemalt wurden. Nur eben ohne Farbe. Zeugen und Manifeste einer erzwungenen Stille, mundtot.

Black Paintings, 2023

In den vergangenen Monaten entstand eine weitere Werkserie. Diesmal sind es schwarze Bilder. Sie antworten auf die mit schwarzen Farben beschmierten Fenster aus den Diffamierungsaktionen, die im Film dargestellt wurden. Castillos Bildträger sind flache Plexiglaskästen, die an der Wand hängen: Abstraktionen des Fenstermotivs in Gemäldegröße. Sie sind beschmiert mit den Spuren schwarz bemalter Hände – Spuren, die das emotionale, soziale und politische Drama besagter Übergriffe expressiv vermitteln. Und zugleich gibt es in diesen Werken gar keinen Ausdruck, kein Drama, keine Anklage, ja nicht einmal wirklich Subjektivität.

Castillo behandelte die Bildträger lediglich so, wie man mit solchen Dingen nun mal im Studioalltag umgeht. Gemeinsam mit helfenden – geschwärzten – Händen wurden die Objekte aus Kisten geholt, durch das Atelier getragen, an eine Wand gehängt und wieder abgehängt, und wieder eingepackt. Mehr nicht, und nicht weniger. Man tat nur eben das, was in Kuba verboten wurde: ein ganz normales Alltagsverhalten von Künstlerinnen und Künstlern, die vielleicht hier etwas aufhängen und da etwas abhängen, Dinge anfassen und umdrehen, ganz gleich, auf welcher politischen und ideologischen Linie sich ein fertiges Werk dann würde verorten lassen.

Während es vielleicht unvermeidlich ist, wenn man über Kunst spricht, auch über Schönheit zu sprechen, findet das Marco Castillo in diesem Zusammenhang problematisch. Wenn es einen gewissen Reiz in diesen Werken gibt, so notieren wir uns, dann könnte dieser in dem konzeptionellen Ansatz liegen, durch einfache Gesten des Art Handlings den Eindruck starker Expression und Emotion zu erzeugen, die Gewalterfahrungen sehr wohl repräsentieren können, ohne dass aber je eine Geste der subjektiven expressiven Artikulation stattfand. Für die komplizierten Diskussionen über gute und problematische Formen künstlerischer Kritik und Gewaltdarstellung ist das interessant.

Alexander Koch
Ausstellungstext KOW, Berlin, März 2023

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