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Heinrich Dunst. Things, Not Words. KOW

Da kratzt etwas am Fundament. Schwärme von Denkern untergraben derzeit ein Weltbild, in dessen Mitte der Menschen sitzt. Was Sloterdijk einmal polemisch als die absteigende Entwicklungslinie vom Gott zum Menschen und vom Menschen zum Schlumpf bezeichnet hat, könnte man als eine Reihe narzisstischer Kränkungen des abendländischen Subjekts beschreiben: Kopernikus zerbrach die Illusion, das Universum kreise um die Erde; Kant machte Schluss mit dem Glauben, Erkenntnis sei mehr als das, was sich in unserem Kopf abspielt; Freud zeigte, dass wir selbst in unserem eigenen Kopf nicht Herr im Haus sind. Und nun sagt man uns, dass wir den Unterschied zwischen dem Menschen und einer Kaffeemaschine maßlos überschätzt haben. Lange galt die soziale Welt als eine von Subjekten bewohnte und die Realität als das, was diese Subjekte – vor allem sprachlich – als solche begreifen. Doch nun wankt dieser abendländische Leitgedanke und das anthropozentrische Zeitalter bröckelt. Ob uns das zu Schlümpfen macht ist ungewiss.

Klimawandel, Finanzmarktalgorithmen, künstliche Intelligenz, solch komplexe Angelegenheiten werden heute oft als Beziehungsnetzwerke beschreiben: als Interaktionen von materiellen und immateriellen Objekten und Ereignissen. Dingen und Zeichen, Konzepten und Systemen wird dabei eine Rolle als soziale Akteure zugedacht, die ebenso handeln und ihre Interessen verfolgen wie wir selbst. Das klassische Verhältnis von Subjekt und Objekt, Mensch und Welt kommt dabei an seine Grenzen und gerät auf den Prüfstand. Auf diesem Prüfstand arbeitet auch Heinrich Dunst. Die Ausstellung des Wieners bewegt sich hinein in einen Paradigmenwechsel, der aktuell als Material Turn diskutiert wird und eine Neubewertung der Rolle der Dinge in der menschlichen Erfahrungs- und Bedeutungsrealität vollzieht. Dunst experimentiert mit einfachen Mitteln an einem Wahrnehmungsmodell, das unseren Blick und unser Denken in eine Erfahrungslage bringt, in der sich Subjekt-Objekt-Verhältnisse und darin wirkende Sprachformen aus der anthropozentrischen Verhaftung lösen.

Die elf Objekte, die Heinrich Dunst für seine zweite Ausstellung bei KOW mitgebracht hat, erzeugen ein semantisches Feld, in dem sich die Souveränität des eigenen Schauens und Erkennens verlieren. Während die einzelnen Bestandteile der Installation für sich genommen in ihrer Bedeutung unterdeterminiert erscheinen und kaum als Werke auffassen lassen, stehen sie zugleich in so vielfältigen Relationen zueinander, dass sich ihre Funktion und ihr Sinn im Gesamtzusammenhang vervielfältigen. Die Lektüre des Ensembles ist unabschließbar, seine semantische Komplexität lässt eine Ausdeutung des Gesehenen kaum zu. Stattdessen durchkreuzen sich formale und konzeptionelle Korrespondenzen fortwährend und führen die Betrachtung ein in ein offenes Sprachformsystem, das zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlichen Kriterien folgt. In Konsequenz scheint sich die Arbeit ganz im Jetzt zu bewegen, in Sprachspielen, die sich laufend erneuern.

Was aber Dunsts Modellanordnung vor allem interessant macht, ist dies: Während sich sehr wohl die Sprachfähigkeit der Objekte und ihrer Interaktionen studieren lässt, geraten die Worte der BetrachterInnen hingegen ins Schlingern. Korrespondenzen zwischen dem Wahrgenommen und dessen sprachlicher Darstellung bleiben stets nur temporär und insofern spekulativ, als sie bereits im nächsten Moment überschrieben werden. Zwischen den Dingen und der Sprache erscheint eine Unübersetzbarkeit, ein nicht fixierbares, nicht-repräsentationales Verhältnis, das Dunst nicht als Scheitern inszeniert, sondern als die performative Dimension von Subjekt-Objekt-Verschiebungen. Deren Sinn bleibt porös, flüchtig und aktuell, jede Totalität, auch die eines subjektzentrierten Realitätsbegriffs, erweist sich als in der Sache unangemessen.

 

KOW Ausstellungstext, 19. Nov 2016 – 29. Jan 2017

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