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Le prĂȘt Ă  porter de l’image. Anmerkungen zur Genese der Leipziger und Dresdner Erfolgsmalerei

Mit dem Fall der Mauer begann der Umbau des Kunstfeldes im Osten Deutschlands. Ikonographische, formalÀsthetische, wie auch soziale, ökonomische und institutionelle Regelwerke, die sich nach 1945 unter den Rahmenbedingungen einer sozialistischen Kulturagenda herausgebildet und die Kunstproduktion bis ans Ende der 80er Jahre mitgetragen hatten, waren perdu.

Von internationalen Entwicklungen weitgehend abgeschirmt und ohne Teilnahme an den intellektuellen Debatten des Feldes, hatte sich zwischen „Lust und Last”[1] eine eher introvertierte kulturelle Binnenlandschaft mit einem der Ă€lteren Moderne verpflichteten – somit vor staatssozialistischen Anfeindungen gefeiten – TraditionsgerĂŒst entwickelt.

Anfang der 90er Jahre sollte sich zĂŒgig der Abgleich zwischen dem je lokalen Status quo und den internationalen, westlichen Standards des Kunstmarktes, des Ausstellungswesens, der kĂŒnstlerischen Produktions­ und Distributionsmodelle vollziehen. In gleicher Weise waren diskursive Systeme betroffen: Abstraktion, Minimalismus, Dekonstruktion, Kontextualismus, Postmodernismus – vieles, das fĂŒr die zeitgenössische Kunst bedeutsam, ja vital war, war im Osten unbekannt geblieben oder wurde durch neuerliche Reserve auf Distanz gehalten, so dass es nach der Wende zu eigentĂŒmlichen Vermischungen aus Öffnung und RĂŒckzug kam: VersĂ€umtes aufzuarbeiten hĂ€tte ewige NachzĂŒglerei heraufbeschworen, also wurde der aktuelle Anschluss im Quereinstieg gesucht. Auf ehemalige politische und d.h. auch kĂŒnstlerisch-inhaltliche Bevormundung wurde mit der Verwerfung des Politischen wie des Kunstdiskurses ĂŒberhaupt reagiert – manifest u.a. an einer ostdeutschen Kunstkritik, die anstelle des ehemals gesellschaftlichen nun das individuelle Subjekt ansang und kunsthistorische geschweige denn -theoretische RĂŒckbindungen ignorierte.

Die Vermittlung zwischen kulturellen IdentitĂ€ten der DDR-Epoche und den neu verfĂŒgbaren Selbstbildbausteinen des angeheirateten Globalismus verlief durchaus konfliktreich – auch dank eines West­Ost-HierarchiegefĂ€lles. Dabei hat sich die ostdeutsche MentalitĂ€t, wie sozialpsychologische Befunde nach der Wende ergaben, gewandelt von eifriger Transformationsbereitschaft ĂŒber die die narzisstische KrĂ€nkung und Frustrierung ob der zahlreichen Entwertungen östlicher Errungenschaften, die ‘ostalgischen’ Sentiments und Ressentiments, bis hin zu schließlich selbsterzeugter GegenidentitĂ€t. Umgekehrt machte sich im Westen Ungeduld breit.

Als dann Ende der 90er Jahre das GerĂŒcht aufkam, im Osten rege sich eine neue, Erfolg versprechende Malerei, weckte dies hĂŒben wie drĂŒben Hoffnungen: in den neuen LĂ€ndern wiederaufkeimenden Stolz ob der WĂŒrdigung lokalen kulturellen Leistungsvermögens, in den alten LĂ€ndern Neugier auf die ersten kĂŒnstlerischen FrĂŒchte des kostenintensiven gesellschaftlichen Umbaus. Die Karten waren gelegt.

WĂ€hrend im Kunstfeld (z.B. auf der documenta X) ĂŒber Funktionsweisen eines globalisierten Raumes kultureller Produktionen debattiert wurde, entdeckten Galeristen, Sammler und Journalisten zwei scheinbar von solcher KomplexitĂ€t verschont gebliebene gallische Dörfer im Lande Sachsen, deren Bewohner, sofern es sich um Maler handelte, gleich zu Dutzenden als Kinder in den Talenttopf gefallen sein mussten und nun angeblich stattliche Bildwerke hervorbrachten. TatsĂ€chlich avancierte unter feuilletonistischem Applaus eine neuostdeutsche Erfolgsmalerei aus Leipzig und Dresden rasch zu Sammlers Liebling und eroberte Messen wie Museen im Sturm.

Nachdem schon in den Adern der Siebziger- und Achtzigerjahrehelden Gerhard Richter, Georg Baselitz und A.R. Penck sĂ€chsisches Malerblut geflossen war – wenngleich auch entschieden in Richtung Westen – waren es nun mit Eberhard Havekost, Frank Nitsche und Thomas Scheibitz erneut „Drei aus Dresden”[2], die man fĂŒr ihr Bilderkönnen lobte. Zeitgleich lenkte Neo Rauch den Blick der Öffentlichkeit auf seine Heimatstadt Leipzig. Im Windschatten seiner alsbald rasanten Karriere reĂŒssierte eine zweite, teils von Rauch und dessen Lehrer Arno Rink ausgebildete Generation, zu der u.a. Peter Busch, Tim Eitel, Martin Kobe, Christoph RuckhĂ€berle, Julia Schmid, David Schnell und Matthias Weischer zĂ€hlten und denen man wahlweise das Label „YGA/ Young German Art” oder „Neue Leipziger Schule[3]” anheftete.

Ökonomisch-mediale Voraussetzungen

Ende der 90er Jahre war der zuvor angeschlagene Kunstmarkt wieder gesundet. Malerei aus dem Osten Deutschlands konnte eine gestiegene Nachfrage an frischen, ungesehenen Produkten bedienen. FĂŒr Journalisten und Sammler bot die Kunstreise in den Osten willkommene Abwechslung und z.T. erste Gelegenheit, zehn Jahre nach dem Mauerfall einmal die ‘andere’ Seite kennen zu lernen. Bald meldete die Presse, Sammler aus aller Welt gĂ€ben sich die Klinke in die Hand und kauften die Ateliers leer. Da Malerei noch immer dasSpekulationsobjekt der Sammlerschaft ist und der populĂ€ren Presse kaum Vermittlungsschwierigkeiten bereitet, konvergierten Markt und Medien gerade im Fall der „Neuen Leipziger Schule” in ihrer Favorisierung von individuell Griffigem, das neu, aber nicht zu neu anmutete, KontinuitĂ€t verhieß, das solide und interieurkompatibel wirkte.

Mitte der 90er Jahre war die junge ostdeutsche Kunstlandschaft kaum ökonomisiert. Der Malereierfolg, der dies Ă€nderte, wurde vor allem von zwei lokalen Galerien generiert: der Dresdener Galerie der GebrĂŒder Lehmann, wo Havekost, Nitsche und Scheibitz erste Ausstellungen hatten, und der Leipziger Galerie Eigen+Art, die fĂŒr die lokale Szene wie fĂŒr das internationale öffentliche Interesse an der Kunst aus dem Osten entscheidend war. Ohne die Mediengewandtheit und Verkaufsbegabung von Eigen+Art-Galerist Gerd Harry Lybke hĂ€tte die „Neue Leipziger Schule” niemals Verkaufsschlager werden können. Lybkes postsozialistisches Vertriebsprinzip – Sammler trugen sich auf lange Wartelisten ein und bekamen ihren Anteil irgendwann zugeteilt – erhöhte den Eventcharakter des Kunstkaufs zusĂ€tzlich. Die entscheidende Öffnung des amerikanischen Marktes erfolgte dann u.a. durch David Zwirner, New York.

Akademien, OstÀsthetik und Bilder

Nach der Wende hatte die zeitgenössische Szene – wenn man Berlin aufgrund seiner besonderen Situation hier ausgeblendet lĂ€sst – ihr Zentrum in den beiden sĂ€chsischen Akademien, der HGB Leipzig und der HfBK Dresden. Hier fand die Erneuerung kĂŒnstlerischer Praktiken und Diskurse statt, hier war der Verhandlungsraum fĂŒr identitĂ€re Fragen, hier war zugleich auch die einzig relevante lokale Öffentlichkeit. Im Bereich der Lehre blieben Erneuerung und Westanschluss allerdings weitgehend auf neuere kĂŒnstlerische Verfahren (Fotografie, Installation, Medienkunst) sowie die Theoriebereiche beschrĂ€nkt, wĂ€hrend die vorhandenen LehrstĂŒhle fĂŒr Malerei unangetastet blieben, aus alten, regionalen Seilschaften heraus oder mit malerischen Leisetretern neubesetzt wurden. Entsprechend wurde dort weiterhin das Zepter malerischer Kultivierung geschwungen, mit dem sich das Gespenst etwaiger „Intellektualismen” gut verscheuchen ließ. Kunsttheoretische, intellektuelle, sowie ĂŒberhaupt auf die Vermittlung neuerer, stĂ€rker diversifizierter AnsĂ€tze zielende Lehrangebote an beiden Akademien wurden von den infragestehenden Malereistudenten durchweg ignoriert und gemieden. Die (West)Diskussionen dieser Jahre zum „Ende der Malerei” und die Hinwendung wichtiger Teile der Avantgarde zu anderen Medien ließ den Malern im Osten ihr Handwerk aber gerade als das mutig UnzeitgemĂ€ĂŸe erscheinen, das der Entwertung hiesiger Errungenschaften trotzte, oder das man (falls man als junger Student vielleicht aus Stuttgart zugereist war) ob der anachronistischen Exerzitien einer ‚echten‘ Malerausbildung aufsuchen und schĂ€tzen konnte.

In der altehrwĂŒrdigen Dresdner Akademie, die sich aus (spĂ€t)romantischen bis klassisch-modernen Traditionen speiste, die ein hochkarĂ€tiger handwerklich-technischer wie auch formalĂ€sthetischer Wissensspeicher geblieben war und Neuerungen der Malerelentwicklung eher beargwöhnte, teilten sich u.a. Eberhard Havekost und Thomas Scheibitz von 1991-96 ihr Atelier. Hier ĂŒberlagerten sich nun Abwehr und Verteidigung der lokalen, z.T. hauseigenen MalereiverstĂ€ndnisse. GegenĂŒber neueren Kunst- und Diskursformen sĂ€mtlich reserviert, begĂŒnstigte die kennerschaftlich gepflegte Bewunderung bzw. BemĂ€ngelung handwerklicher Details doch auch Synergieeffekte und Korrektive in der Malpraxis, in der Sehschulung und Beachtung all jener Finessen, die woanders vielleicht in Vergessenheit geraten wĂ€ren. Hermetische Gemeinschaftsbildung und mĂ€nnerbĂŒndisches Gehabe, die beizeiten die Dresdner wie auch die Leipziger ‘Boygroup’[4] kennzeichneten und bis in die waidmĂ€nnischen ZusammenkĂŒnfte auf Neo Rauchs Bildern nachklingen, vertrugen sich mit dem seitens der Lehrergeneration nach wie vor hochgestemmten Ideal sinnlicher ‘peinture’, die man – recht selektiv – ja auch an ehemaligen Dresdner Lehrern wie Dix und Kokoschka schĂ€tzte, und die auch mit der hier fortwirkenden moderaten Farbgestik der ‘BrĂŒcke’ vereinbar schien.

Dennoch wurden studentische Ablösungsprozesse nötig: die Abwendung von Elbtallandschaften, von erdigen GemĂŒsestilleben, vom ‘Pleinair’ und schließlich der Dresdner SpezialitĂ€t lasziv-ĂŒppiger Frauenakte. Motivisch dominierten stattdessen nun Westsymbole: Highways, Ralley-Streifen und Architekturfassaden eines US-Modernismus und Gestalten mit verspiegelten Sonnenbrillen fanden Einzug in die Bilder, was durchaus deutbar wĂ€re als Überaffirmation an jene Westorientierung, die ja schon einmal – in den 60er Jahren bei westdeutscher Pop Art nebst Auslegern – besondere Sympathie fĂŒr den American Way of Life bewiesen hatte.

DenkwĂŒrdig erscheinen nun weniger diese laut Ostjargon „poppistischen” Sujets, sondern deren vorzĂŒgliche Eignung fĂŒr eine schlichtweg saubere Malerei des akkuraten Farbauftrags, die all den eleganten ‘Dreck’ klecksender, ĂŒberbordender Farbe tunlichst vermied und sich in ihrem gern fotografisch inspirierten, naturalistischen Einsatz bestenfalls delikat irisierende RĂ€nder gestattete. ErklĂ€rtes Vorbild der jungen Dresdner Malerszene war nicht zufĂ€llig Alex Katz, der es ja seinerseits bis heute versteht, die noble Klarheit reiner Farben Ă  la Matisse mit AtmosphĂ€ren Hoppers zu verbinden und insofern Übervater auch jener anderen jungen deutschen Maler genannt zu werden verdient, deren Bildgestalten kolorierte technische Zeichnung mit Pop versöhnen.

Mit Katz ist zudem bereits auf die Abwendung vom Expressiven hingewiesen, das stets eine SĂ€ule ostdeutscher Malkultur war. Zwar waren die Figurationen von Nitsche dynamisch, umbrechende Ecken bei Scheibitz in Bewegung und die Bildwelten Havekosts schnittig, aber solchem Tribut an schnelle Zeiten (und seinerzeit an Techno) eignete eher ein unsentimentales, letztlich antiexpressives Konstatieren, das an jene aristokratisch distante AttitĂŒde Neusachlicher Autoren in der Weimarer Republik erinnert, die Helmut Lethen unter „Verhaltenslehren der KĂ€lte“[5] rubriziert hatte. Diese im Kern apolitische, geschichtstranszendent sich dĂŒnkende Haltung zeigt auch Spuren in Werken Rauchs, Eitels (s.u.) und Biskys. Möglich, dass sich diese GlĂ€tte erfolgreicher Dresdner wie Leipziger MalereioberflĂ€chen einer Aversion gegen den schweren Geruch ostbohemistischer Romantik und verspĂ€teter Ichfindungskultur nach 1989 verdankte. Dennoch blieb in dieser Malpraxis der Stolz der jungen KĂŒnstler auf eine genuin Dresdner oder Leipziger Grundlegung ihrer Fertigkeiten, auf ihr letztendliches Profitieren vom heimischen Umgang mit Farbe und Maltechnik, unĂŒberhörbar.

Die Leipziger Hochschule war ebenso handwerklich beflissen und fleißig wie die Dresdner. Als Zentralinstanz der „Leipziger Schule” war sie aber ungleich stĂ€rker in den Ă€sthetisch-politischen Diskurs des DDR-Sozialismus eingelassen und – dank der zeichnerischen und mithin erzĂ€hlerischen, bisweilen fabulierend phantastischen Ausrichtung der tonangebenden Maler – ebenso dessen ReprĂ€sentant wie spĂ€ter auch Kritiker.

Die vor allem ĂŒber das FAZ-Feuilleton den Westdeutschen jahrelang nahegebrachten Geschichten von DDR­KĂŒnstlern, die nicht jammerten, sondern hart arbeiteten, sich FreirĂ€ume gegenĂŒber den Apparatschiks erkĂ€mpften und dabei nie das Menschenbild aus dem Blick verloren, traf bei all denen auf Sympathie, die abstrakter wie konzeptueller Westkunst sowie ihrer ausdifferenzierten Filiationen ĂŒberdrĂŒssig waren. Seit Mitte/Ende der 90er Jahre konnte sich die alt-neue Begeisterung endlich wieder an einer jungen Malerschule entfachen, die nun Genuss ohne Reue versprach, im Klartext: angesichts derer all das, was Manche immer schon an der Ă€lteren ‘Leipziger Schule’ geschĂ€tzt hatten, nun ideologisch entlastet auferstand.

Kristallisationsfigur und Zugpferd fĂŒr diesen Prozess war Neo Rauch, der von 1981-90 bei Vertretern der Leipziger Schule studiert und in den folgenden Jahren selbst direkten Einfluss auf die Ausbildung der nachfolgenden Generation hatte. Nicht willens, Weiterentwicklungen der Abstraktion nach 1945 wie auch sĂ€mtlicher konzeptueller Malerei wirklich zu verarbeiten, tauchen sie – nicht anders als bei seinen SchĂŒlern – in undurchdachterAneignung, nĂ€mlich larmoyant als Zitat, als TrophĂ€e des Nichtbegriffenen, als Alibi in seinen Bildern auf. Insofern kehrt hier die zu Zeiten des Kalten Krieges als Drama erlebte DipolaritĂ€t von ‘Figuration und Abstraktion’ noch einmal als unfreiwillige Posse wieder.

Sodann trumpfte der Ă€ltere erzĂ€hlerische Gestus auf, nur dass es jetzt keine BrigadefĂŒhrer mehr, sondern Zwitter aus sozialistisch und kapitalistisch Subalternen in der Manier von Comic-Helden waren. Und der in der spĂ€ten DDR-Malerei bereits geduldete – im Westen als versteckte Dissidenz hochgeschĂ€tzte – Habitus des Puppenhaft-Unbeteiligten, demzufolge die Bildakteure eher marionettenhaft zur sozialistisch verordneten Euphorie schritten, brillierte nun bei Rauch bar jeglichen Auftragskontextes, so dass seine monumentalen Gestalten wie aus fehlgeleitet innerem oder rĂ€tselhaft Ă€ußerem Antriebe grotesk ĂŒber die BĂŒhnen aus lauter Chiffren moderner Arbeitswelten delirierten. Hierzu passt die in den letzten Jahren sich abzeichnende Tendenz zur Einschleusung privat-mythologischer Figuren (,,Der Hirt”) und die gekonnte Verschachtelung der Perspektivfluchten einer protosurrealistischen Pittura metafisica. Die Akkumulation von BildversatzstĂŒcken aus Werbung, Comic und Kunst vorzugsweise der 50er Jahre, sowie eine ‘Ă€ltliche’, in den Retro-Kanon der aktuellen Mode sich fĂŒgende Palette von der typischen Unfrische urbanen Ostalltags hinzugerechnet, konnte Rauchs Malerei den Deutschen aus West und Ost ProjektionsflĂ€chen fĂŒr ihr Begehren nach Geschichtsanmutung ohne Geschichte, fĂŒr ErzĂ€hlanmutung ohne ErzĂ€hlung – oder wie ein deutscher Kritiker vor hundert Jahren einmal in Bezug auf Arnold Böcklin sagte: fĂŒr eine „BĂŒhne ohne Theater”[6] – liefern.

Dieser schwere Duft einer Gewichtigkeit betörte nicht nur ein deutsches Publikum der kulturellen Mitte, sondern auch die nachrĂŒckende Generation jĂŒngerer Leipziger Maler, die freilich um Differenz ringt und sich etwa mit der malersoldatischen Unbedingtheit ihres Vorbildes nicht zwangslĂ€ufig anfreunden will[7]. Obwohl es hier auch Protagonisten gibt, die wie z.B. David Schnell in geradezu verblĂŒffender Hommage-Bereitschaft nunmehr die fluchtenden Perspektiven Rauchs aus dessen vielschichtiger Malerei herausgreifend diese Raumschluchten dann pittoresk mit fliegenden Zwirnrollen bevölkern (so als sollte Rauchs Faible fĂŒr Leipziger Dingmagie auf Magritte zurĂŒckgefĂŒhrt werden), gibt es doch auch die eher distanzierten EinflĂŒsse, wie sie sich etwa bei Christoph RuckhĂ€berle manifestieren: Seine JugendgruppenportrĂ€ts verweisen in melancholischem Stelldichein gleichermaßen auf östlichen Betroffenheits­Professionalismus (zurĂŒckzuverfolgen bis zum Vorbild vieler DDR-Kunst, dem spĂ€ten Karl Hofer) wie auf die symbolistischen AffinitĂ€ten eines Balthus.

Auch bei Tim Eitel meldet sich der dekorative Farb­Cloisonismus eines Alex Katz: Seine hochgeklappten Horizonte durchlaufen die querformatigen Bilder wie Streifen, zitieren und nutzen damit Strategien amerikanischer Farbfeldmalerei. Wo diese HintergrĂŒnde nicht selbstverloren romantischen RĂŒckenfiguren Halt geben, sind sie vielleicht mit einem Mondrian kongruent; oder sie zeigen Innenansichten musealer RĂ€ume – dicht davor junge, gut aussehende Menschen, die eigentlich Touristen jener Bilder sind, auf denen sie vorkommen. Ennui haftet an ihnen, doch auch stets der Eindruck, ein klingelndes Handy könnte sie von der sorgsam ihnen zugedachten Folie aus modernistischen VersatzstĂŒcken abberufen.

Bei Matthias Weischer schließlich leere Interieurs: Übereck gestellt und programmatisch raumschaffend werden dennoch (wie bei Rauch) FlĂ€chenklappungen vorgenommen: Suggestiv Abgebildetes wird zur eigengesetzlichen Farbformation oder es sickert in ornamentierende Kompartimente. Matisse und Bonnard, bei denen Weischer solches hĂ€tte lernen können, treten bereits gefiltert durch jene Ästhetik des angenehm altmodischen Patchworks (aus Matrazenstoffen, Oma­Tapeten usw.) in Erscheinung, welche ebenso sehr die Vorliebe fĂŒr den ‘Dirt’-Pop eines Rauschenberg, als auch fĂŒr DDR-AltenheimatmosphĂ€re verrĂ€t – beides freilich wiederum gebrochen durch jugendkulturelle Retromode.

Quintessenz

Der Kunstmarkt hat einen guten Magen und unstillbaren Appetit – und zwar auf Erfolgsmalerei, was nach kapitalistischen Kriterien heißt, dass eben nur Erfolg, nichtLeistung zĂ€hlt, das Prospektive also am Grad des PopulĂ€ren sich bemisst. Der Umbau von Teilen des Kunstfeldes zur Unterhaltungsindustrie, in Kopplung mit dem Spaß des Kapitals am Spekulationsabenteuer, wird heute manifest an Labeln wie „Dresden-Pop“ oder „Neue Leipziger Schule“: Sprachlich gern im Plural, als Teil einer Angebotspalette aufgefĂŒhrt, sind die vermeintlichen „Vertreter“ solcher Richtungen nicht Initiatoren, sondern eher mitspielende Opfer einer Vermarktung, die nach Kriterien und Zyklen der Fashion Industries verfĂ€hrt. Das Medienklischee von den ausgegrenzten Malern (von Malerinnen ist selten die Rede), die „nicht marktorientiert“ standhaft in ihren Ateliers gegen die KĂ€lte des sie umzingelnden Konzeptualismus-Mainstreams standhielten[8], ist also kokettes Lamento, erst recht angesichts des generellen Marktvorteils von Malerei. Aufstoßen muss eine solche FehleinschĂ€tzung jenen, die heute den schwierigen Produktionsbedingungen konzeptueller und immaterieller Praktiken sich stellen oder die zu Zeiten der ersten Leipziger Schule deren gesellschaftsanalytischen Ansatz teilten und kritische, dissidente Positionen aufzubauen suchten – wer wollte ihnen verĂŒbeln, in Rauchs Bildern weiterhin Helden der Arbeit vor lĂ€ndlicher Fabrikkulisse nach SED-Fasson zu erkennen und der ideologisch naiven Begeisterung westlicher Kunstbetrachter zu entraten?

Nicht dies, sondern eher schon die benutzerfreundliche Bildwelt der Dresdner Let’s-go-West-Bekenntnisse oder des Leipziger Mythen-Medleys, die nirgends das ihnen mobilisierbare Sehnsuchtsrepertoire ĂŒberfordert, bewegt die Sammler. Dass letztere gerade im Leipziger Falle gerne auch in Texas und Florida die Schecks ausstellten und schnell bei der Hand waren, in Privatmuseen ganze SĂ€le den jugendlichen „Krauts“ zu widmen, sollte eine BildlektĂŒre nicht vorschnell vergessen. Wird hier nicht auch der gemeinschaftliche Sieg ĂŒber „den Kommunismus“ zelebriert? Bei gleichzeitiger Exotisierung dessen, was an diesem – oder wahlweise an dessen Überwindung – ,,typisch“ schien? Das Klischee vom neuen, braven Deutschen – etwas schwermĂŒtig, geĂŒbt in Erinnerungskultur und fleißiger TrĂ€ger soliden Handwerks – lĂ€sst sich allenthalben aus den Bildern generieren und erhellt wiederum das populĂ€r gewordene Eitel-Faible von FDP-Chef Guido Westerwelle.

Unschwer, in all dem sowohl MentalitĂ€ten der „Neuen Mitte“ gespiegelt zu finden, die jetzt Europa ergreifen – inklusive Disneylandisierung von Geschichte, Kinofilmen, die NS-GrĂ¶ĂŸen mal ganz privat und in Farbe zeigen, sowie des in Ostdeutschland penetrant augenzwinkernden Umgangs mit sozialistischen Relikten. Indem sich die Erfolgsmalerei aus dem Osten Deutschlands in dieses Klima dynamisierter Folklore fĂŒgt – gar nicht aus politischer Zustimmung, sondern weil sie sich entpolitisiert glaubt – ruft sie ĂŒberkommene KĂŒnstlerbilder auf den Plan, die all jenen behagen, denen die globalisierte und vermeintlich intellektualistische Kunstproduktion heutiger Avantgarden ein Dorn im Auge ist.

Christian Janecke und Alexander Koch

Dieser Essay erschien 2005 ausschließlich auf Französisch unter: Le prĂȘt-Ă -porter de l’image. Remarques sur la genese de la peinture Ă  succes de Dresde et Leipzig. In: La Nouvelle Peinture allemande. Ausstellungskatalog Carre d’Art, Musee d’Art contemporain, Nimes, 2005. Arles/ Paris, editions Actes Sud 2005, S. 20-33

[1] Vgl.: Lust und Last: Leipziger Kunst seit 1945, Ausstellungskat. Germanisches Nationalmuseum NĂŒrnberg (15.5. – 7.9.1997) / Museum der bildenden KĂŒnste u. HGB Leipzig (2.10. – 31.12.1997)

[2] Titel des Beitrags von Tim Sommer fĂŒr art. Das Kunstmagazin, Nr. 9 / Sept. 2000, 5. 10-22

[3] Seit den 70er Jahren werden mit dem Begriff „Leipziger Schule“ DDR-Malereipositionen wie Werner TĂŒbke, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer verbunden. Die L.S. stand fĂŒr hohen kĂŒnstlerischen Anspruch, verbunden mit bewusster Gesellschaftsanalyse, vorgetragen mit bemerkenswertem handwerklichem Können. Sie ist nicht mit der Leipziger Akademie zu verwechseln.

[4] So der Titel eines Bildes, auf dem Tim Eitel vier seiner Kollegen verewigt hat.

[5] Helmut Lethen: Verhaltenslehren der KĂ€lte. Lebensversuche zwischen den Kriegen. Frankfurt a. M. 1994

[6] Vgl.: J. Meier-Graefe: Der Fall Böcklin und die Lehre von den Einheiten. Stuttgart 1905, S. 184

[7] Selten erwĂ€hnt wurde der wichtige Einfluss Oliver Kossacks, der Rauchs Nachfolge als Rinks Assistent antrat und kĂŒnstlerisch klar antipodisch zu diesem steht.

[8] In diesem Sinne haben sich z.B. Neo Rauch wie auch Matthias Weischer in Interviews geĂ€ußert.


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