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Alice Creischer, SURSURSURPLUS, KOW (2024)

Wenn es um die Frage geht, wie sich eine verantwortliche künstlerische Position im auf und ab der Zeiten formulieren kann, ist Alice Creischer eine bedeutende Stimme der politischen Kunst in Deutschland. Ihre neue Ausstellung bei KOW handelt von Kunst im Klimakatastrophenkapitalismus und findet – horcht auf! – eine Lösung?

Mehr, immer mehr! Das geht nicht anders. Die Maschine der Produktion lässt sich nicht abschalten. Auch nicht die Maschine der Produktion der Kunst. Denn Kunst fällt ja nicht einfach vom Himmel wie Pflaumen vom Baum. Kunst ist Produktion. Sie ist sogar Teil der Überproduktion, des zu Vielen, das der Mensch im Kapitalismus hervorbringt. Kunst vernutzt und überhitzt den Planeten, verbrennt zu viele Ressourcen und verursacht dadurch Knappheit andernorts. Wie vieles anderes, das Menschen heute tun, verhält sie sich katastrophal, ja Kunst ist ein Bestandteil der Katastrophen, die der Erde ins Haus stehen und jedem einzelnen von uns auch. Autsch.

Das gibt es zu sehen: Wandgedichte und Obst auf Papier, durch Fäden verbunden. Augenkerne in der Anzugschachtel. Zwei Männer im Film auf der Wiese. Es sind Überlegungen und Texte, meist Briefe, aus den letzten Jahren, die Creischer zusammenführt und mit Video und gemaltem Fallobst konfrontiert. Folgt man den Fäden, die sie im Denken und durch den Raum gespannt hat, entwickelt sich eine subtile, fast leichtfüßige Diskussion, deren historisches Gewicht allerdings kaum zu wiegen ist, wie sich zeigt.

Da sind Texte aus Creischers Korrespondenz zur „extraktivistischen“ Ausplünderung Lateinamerikas, über Streiks in der iPhone-Fabrik, über absurde Akkumulationen von Dingen auf Märkten der Welt. Und da ist ein Dialog zwischen Creischer und dem Monster – ein Schlüsselmoment und Highlight der Ausstellung. Denn das Monster darf unverblümt die Dinge sagen, die der Diskurs nicht erlaubt; zu krass, zu frech, zu unverschämt, zu wahr vielleicht sind die Aussagen, die kein Haar an der Glaubwürdigkeit der Künstlerin lassen, ihr angesichts von Kunstmarkt und Pseudorelevanz die Mitschuld am Zustand der Welt ins Gesicht werfen: Du … Du Schaumkrönchen der Überproduktion! (…) Und komm mir nur ja nicht mit deiner Emanzipationsattitüde!

Was sind Kunst und Künstler*innen im Zeitalter der kulturellen Klimaüberlastung anderes als Schaumkrönchen der Überproduktion? Wir sollten die Formel zum geflügelten Wort des Jahres küren.

Doch Alice Creischer und ihre Ausstellung geben sich an diesem Punkt noch nicht geschlagen. Die Künstlerin nimmt es mit dem Monster auf: Was, wenn Kunst wie die Pflaumen wäre? Die Pflaumen, die in jedem Herbst zu viel und viel zu viel vom Baum ins Gras fallen zur Freude der Insekten, die sie in sich aufnehmen. Kunst nicht als Überproduktion (der Ateliers und der Kulturvermittlungsindustrie) sondern als Überfluss! Sogar als überflüssig aus Sicht des Kapitals. Pflaumenbaumkunst. Kunst als Teil des planetaren Stoffwechsels in einer globalen Kreislaufwirtschaft.

Kunst ohne Ressourcen- und Vernutzungsschadensbilanz, ohne Hitzefaktor, Kunst, die Meeresspiegel sinken lässt, die wäre indes nicht von dieser Welt. Creischer wäre schön blöd, anderes zu meinen. Nein, sie macht die Spannung auf, in der wir uns heute und auf Dauer zu verhalten haben: zwischen Produktivitätsregimen und Überproduktionsmaschinen, für die wir noch keine Alternativen und kein Außerhalb kennen – und den Überflüssen und Überflüssigkeiten einer schlussendlich ökologisch eingebetteten, ja sogar in neuem Sinn universellen, weil im Ganzen situierten, Praxis.

Lasst Kunst wie Pflaumen auf uns fallen!

Alexander Koch
November 2024

Ausstellungstext KOW


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