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Dignity. Barbara Hammer, KOW

Das Lebenswerk der 1939 in Hollywood geborenen Experimentalfilmerin, Dokumentaristin und bildenden Künstlerin Barbara Hammer hat die Geschichte des Queer Cinema mitgeschrieben. Seit 1968 hat die erste lesbische Filmaktivistin über 80 Produktionen mit dezidiert feministischer Perspektive vorgelegt.

Zeigte unsere erste Ausstellung von Barbara Hammer 2011 vor allem ihren Beitrag zur (Selbst-)Repräsentation lesbischer Liebe und Sexualität in den Siebzigerjahren, konzentrieren wir uns nun auf einen Parallelstrang ihres Schaffens seit Mitte der Achtzigerjahre: Die Auseinandersetzung mit Alter, Krankheit und Tod.

Im Zentrum der gemeinsam mit der Künstlerin entwickelten Ausstellung steht „Sanctus“ (1990). Hammer verwendet Röntgenfilmaufnahmen, die Dr. James Sibley Watson in den Fünfzigerjahren herstellte, indem er Körper in Bewegungen durchleuchtete, meist Frauen.(1) Watsons kinetisches Spektakel der bis in ihre Tiefen visuell und medizintechnisch verfügbaren Probandinnen überhöht Hammer, zeigt diese mal bedroht, mal bedrohlich, und gibt ihnen eine sinnliche Präsenz zurück. Watsons Archivmaterial wird umkopiert und beschnitten, bemalt, überblendet und verätzt. Hammer animiert einen Danse Macabre weiblicher Skelette. Es ist mehr als eine feministische und erotische Rückaneignung des technisch und pathologisch besetzten Leibes der Frau – es ist seine Heiligsprechung, musikalisch getragen von der computergenerierten Messe „Sanctus“, die Neil B. Rolnick eigens komponierte.(2)

„Optic Nerve“ (1985), Barbara Hammers Beitrag zur Whitney Biennial 1987, ist wie „Sanctus“ ein Hauptwerk ihrer experimentellen Praxis. Sie arbeitet mit 8mm-Aufnahmen ihrer 97-jährigen Großmutter. Den körperlichen Verfall, die Lebensfunktion medizinischer Geräte, das Ausgeliefertsein an die Zeit und an die Technologie, überträgt Hammer auf ihren Umgang mit dem Zelluloid-Material und auf die Gestaltung der Tonspur. Ihr gelingt eine bestürzende Verschränkung von physiologischer und filmischer Apparatur. Die Erblindung der Großmutter auf einem Auge, der Verlust des dreidimensionalen Sehens, führt Hammer dabei an die Grenze ihres Mediums, weg vom Naturalismus räumlicher Darstellung und hin zu einem existenziellen Minimalismus: „Optic Nerve“ wird ein flackerndes, verschwommenes, mechanisch zusammengehaltenes Filmportrait am Rande des Sehvermögens.

In „Vital Signs“ (1991) wendet Barbara Hammer den Schrecken des Todes demonstrativ in sein Gegenteil. Sie schenkt einem menschlichen Skelett ihre zärtliche Fürsorge: Sie füttert, kleidet und liebkost es, führt es spazieren in der dunklen Revue einer innigen Beziehung über den Tod hinaus. Sie konfrontiert Schmerz und Angst, statt beides zu verdrängen. Die öffentliche Ignoranz, Stigmatisierung und Instrumentalisierung von Krankheit und Leid untersucht sie 1986 in „Snow Job: The Media Hysteria of AIDS“. 1994 kritisiert sie mit „8 in 8“ die Medienberichterstattung über Brustkrebs und dreht eigene Interviews mit erkrankten Frauen. Programmatisch bedruckt sie Knochen mit Zeitungsberichten über die Zunahme von Krebsfällen, über Therapien, ihre Folgen und ihre Vermarktung.

2008 ändert sich dann ihre Perspektive. „A Horse Is Not a Metaphor“(3) dokumentiert ihren eigenen Kampf mit dem Krebs. Hammer filmt im Krankenhaus, nun selbst Objekt in der medizinischen Apparatur, und sie filmt, um sich darin als Subjekt zu behaupten. Kühl registriert die digitale Handkamera ihren angeschlagenen, geschwollenen, klinisch observierten Körper. Es ist „ein unverstelltes Stück Aktivismus, ein offenes Plädoyer des Überlebens, eine alltägliche Chronik dessen, was eine Person aushalten muss“.(4) Dass Hammer sich so darstellt, ist kein Narzissmus. Seit den frühen Siebzigerjahren setzen ihre Filme eine Forderung des Feminismus und einen Kern demokratischer Kultur ins Werk: Wenn keine Repräsentation verfügbar ist, in der du dich wiedererkennst, dann repräsentiere dich selbst.

(1) In „Dr. Watson’s X-Rays“ (1991) dokumentiert Barbara Hammer Hintergründe und Auswirkungen der Filmproduktion.
(2)/(4) Vgl. Ara Osterweil: „A Body Is Not a Metaphor: Barbara Hammer’s X-Ray Vision“, Journal of Lesbian Studies, Volume 14, Issue 2-3, 2010
(3) Musik: Meredith Monk

Alexander Koch
Berlin, Februar 2013

Ausstellungstext KOW


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