KOW Berlin
Kuratiert von Alexander Koch
Die Ereignisse der letzten Monate haben das russische KuÌnstlerkollektiv Chto Delat mit einer verĂ€nderten RealitĂ€t konfrontiert: âEine neue Kalter-Krieg-Stimmung, die zunehmend hektische Suche nach Feinden, immer druÌckendere Repressalien gegen alle Andersdenkenden und eine offene militĂ€rische Konfrontation mit der Ukraine, die auf beiden Seiten tausende Leben kostet.â(1) Von St. Petersburg aus fragen nun Chto Delat (dt.: âWas tun?â), âwas Kunst in einem Moment sein könnte, in dem Politik und Alltagsleben, wie wir sie kennen, zerfallen, (…) das Publikum verschwindet, Aktivistengruppen implodieren und es eigentlich unmöglich wird, noch irgend etwas zu tunâ.
Ihr Schluss: âWir haben verloren. Wir sind Ausgeschlossene in dieser Gesellschaft, in der 80% der Bevölkerung den Krieg gutheiĂen.â In ihrer ersten Ausstellung bei KOW â einer verĂ€nderten Fassung des VorlĂ€uferprojektes in der Wiener Secession â berichten Chto Delat aus einer katastrophalen Gegenwart, zu der ihnen keine Alternative, keine Zukunft mehr einfĂ€llt. Ăber die aktuelle Situation in Russland hinaus zeichnen sie dabei ein Bild der weithin empfundenen Resignation angesichts des ökonomischen wie militĂ€rischen Imperialismus unserer Zeit, des wiedererstarkenden Nationalismus und der beiderseitigen Neuauflage historischer VerhĂ€rtung zwischen West und Ost.
Jemand verbrennt. Von innen. Erst vergehen die Sinne, dann brennt das Herz, zuletzt lodert die Hoffnung. Es ist die SchluÌsselszene dieser Ausstellung: Ein Text uÌber die VerstuÌmmelung eines Ich â seines Körpers, seiner Wahrnehmung, seiner Ideale. Aufgeschrieben von Chto Delat als innere Stimme ihrer antifaschistischen Skulptur âOur Paper Soldier“, die am 24. Juni 2014 einem BRANDANSCHLAG zum Opfer fiel. Das sechs Meter hohe Monument entstand fuÌr die Wiener Festwochen und reiste dann zu den Berliner Festspielen, wo es Unbekannte nachts mit Benzin und Streichholz zerstörten. âIch hĂ€tte nicht gedacht, dass ich vom Argwohn gegen die Macht der Kunst angegriffen wuÌrdeâ, lassen Chto Delat ihre verkohlte Soldatenskulptur sagen, und dann: âNachdem ich mich selbst verloren hatte, nachdem die Katastrophe fuÌr immer in mir war, verstand ich, dass ich etwas anderes wurde.â Was ist dieses Andere? Das ausgebrannte Werk kehrte als untoter Kombattant wieder, als queeres Zombiemonument erstand es im Herbst fuÌr die Wiener Secession wieder auf und kam nun fuÌr unsere Ausstellung erneut nach Berlin. Ohne Kopf, mit aufgerissener Brust und einem herabhĂ€ngenden FluÌgel steht es wie ein versehrter Engel der Geschichte in der Galerie. Ein zerschossener Phönix, der inmitten spielzeughafter Szenerien steht â darunter eine Miniaturkulisse des russischen Einmarschs in die Ukraine â, bildnerischen Fragmenten aus vergangenen Filmproduktionen und persönlichen Erinnerungsfetzen, die Chto Delat zusammengetragen hat und zuletzt um neue StuÌcke ergĂ€nzte.
Halb scheint sich das russische Kollektiv von KuÌnstlern, Intellektuellen und Aktivisten noch einmal der eigenen Sprache zu vergewissern, die es im Laufe der Jahre in zahlreichen Filmen, Performances, Bildern und Objekten, Aktionen und Publikationen entwickelt hat, um den Anspruch eines progressiven Denkens erneut zu reklamieren, das sich eine andere Zukunft vorstellen kann als die, die man uns alternativlos vorauszeichnet. Und halb scheint diese Sprache zu kapitulieren vor der ruinierten Ambition, in Kriegszeiten noch eine öffentliche Stimme zu sein. In unserem Untergeschoss wird die Katastrophe schlieĂlich global. AufgeblĂ€hte Zeitungsbilder verstellen den Galerieraum mit Syrien, Ebola und IS, MilitĂ€rkonvois und fickenden russischen OligarchenbĂ€ren. Mittendrin eine vierteilige Videoinstallation, „The Excluded, in a Moment of Danger“. Absolventen der von Chto Delat in St. Petersburg betriebenen School of Engaged Art und Aktivistenfreunde rekapitulieren ihren eigenen Standort als verwaiste Akteure der Geschichte, die ihre eigene Historie erzĂ€hlen. Sie verhandeln die Ereignisse, verlieren mitten im Diskurs die Bedeutung ihrer Stimme, drehen durch, stehen auf, werden Körper und finden zu sich selbst als eine Gemeinschaft von wach-verwirrten, Ă€ngstlich-aufmerksamen Menschen, die einander brauchen.
Seit sich Chto Delat 2003 in St. Petersburg gruÌndete, stellte sich die Gruppe in die Tradition russischer Avantgarden und ihres Beitrags zum revolutionĂ€ren Aufbruch. Sie bezog Position gegen das Regime Vladimir Putins und fuÌr eine kommunistische Alternative zum Kapitalismus. Brechtsche Singspielfilme, partizipatives Theater, StudienrĂ€ume, öffentliche Veranstaltungen und propagandistische GegenentwuÌrfe zur staatlichen Meinungskontrolle gehörten ebenso zu Chto Delats Handwerkszeug wie inzwischen 38 Zeitungen, die ihre kuÌnstlerische Praxis mit philosophischen und politischen Diskursen verweben. Chto Delat lieĂ nie von dem utopischen Gedanken los, dass ein anderes Leben möglich sei, und nutzte die Kunst, um es zu entwerfen. Nach zahlreichen internationalen Ausstellungen erscheint ihr Auftritten bei KOW jedoch als eine ZĂ€sur. WĂ€hrend manche Operaisten und Akzelerationisten meinen, der Kapitalismus werde zwangslĂ€ufig in die Katastrophe fuÌhren und wir muÌssten ihm nur dabei helfen, entgegnet Chto Delat-Mitglied Oxana Timofeeva in ihrem ZOMBIE-KOMMUNISTISCHEN MANIFEST, wir steckten bereits mitten in der Katastrophe und von alleine werde sie sich niemals auflösen. Weiter so zu leben wie bisher sei keine Perspektive â aber zugleich verhallt die Frage âWas tun?â fuÌr einen Moment ohne Antwort.
Solange es Hoffnung gibt, wird die revolutionĂ€re Aktion aufgeschobenâ,(2) schreibt Timofeeva und erteilt dem wartenden wie auch dem beschleunigenden Optimismus eine Absage. âVergessen wir also die Hoffnung. Die Revolution beginnt in der Hölleâ. Und die Hölle ist jetzt. In ihr kann man weder leben noch sterben und brennt auf alle Zeit in den Konsequenzen vergangener Taten. In einer paradoxen Wendung ziehen Chto Delat den Schluss, aus dem Lauf der Zeit selbst auszusteigen und suspendieren unter den Augen eines kopflosen Engels der Geschichte ihre Hoffnung auf progressiven Wandel, um einer undenkbaren VerĂ€nderung, einer unbekannten Revolution Platz zu machen, die an irgendeinem Tag kommen mag, an dem dann die Geschichte wieder beginnt. In der Galerie steht eine Vitrine. Darin ruht ein papiernes Herz mit einem angewachsenen Ohr. Innerlichkeit untrennbar von der Wahrnehmung des AuĂen. Es ist eine Zeitkapsel, in der Mitglieder des Kollektivs persönliche Objekte in eine namenlose Zukunft schicken und damit die Möglichkeit eines anderen Lebens vertagen. Das Ohr ist mit einem roten Pfropfen verschlossen, auf dem „Chto Delat?“ steht. Eine selbstgewĂ€hlte Wahrnehmungssperre als Schutz vor dem Krach einer irren Gegenwart?
Kann man diesen Zweifel an der Hoffnung â und an der Kunst â ausstellen? KOWs kuratorischer Ansatz zur Adaption von „Time Capsule. Artistic Report on Catastrophe and Utopia“, Chto Delat?s erster monografischen Schau in einer Galerie, folgt dem Impuls, die Ausstellungsproduktion auf einer Schwelle der Unsicherheit zu balancieren. Der Galerieraum wird zum Theaterlager, angefĂŒllt mit Requisiten. Teile der Secessions-Ausstellung â etwa eine 38 Meter lange Wandmalerei, entstanden im Rekurs auf Klimts Beethovenfries â werden in Berlin fragmentiert, verlieren Werkcharakter. Halb auf der VorderbĂŒhne inszeniert, halb auf der HinterbĂŒhne abgestellt in einer Warteschleife zwischen zwei AuffĂŒhrungen, stehen die gezeigten Dinge auf unsicherem GelĂ€nde. Ihre Funktion, ihr Status sind fragwĂŒrdig. Die ReprĂ€sentation hat Risse.
Mitglieder des Kollektivs sind Tsaplya Olga Egorova, Nina Gasteva, Nikolay Oleynikov, Gluklya Natalia Pershina, Alexey Penzin, David Riff, Alexander Skidan, Oxana Timofeeva und Dmitry Vilensky. Viele russische und internationale KuÌnstlerInnen und Intellektuelle haben im Laufe der Jahre unter dem Namen Chto Delat mitgearbeitet.
(1) Tsaplya Olga Egorova, Nikolay Oleynikov und Dmitry Vilensky: Vorwort, Time Capsule: Artistic Report on Catastrophes and Utopia, Chto Delat newspaper, Nr. 38, November 2014.
(2) Oxana Timofeeva: Manifesto for Zombie-Communism, Mute Magazine, 12. Januar 2015.
Alexander Koch
Februar 2015