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Believers (2012)

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KOW Berlin

Mit Alice Creischer, Chto Delat, Barbara Hammer, Frédéric Moser & Philippe Schwinger, Michael E. Smith, Franz Erhard Walther, Tobias Zielony, Zanny Begg, Joseph Beuys, Arno Brandlhuber, Ines Doujak, Philippe Halsman, Adrian Piper, Pussy Riot, Christoph Schlingensief, Andreas Siekmann, Santiago Sierra, Andreas Slominski, Sean Snyder, kuratiert von Alexander Koch und Nikolaus Oberhuber

Das Recht auf Blasphemie sollte ein Menschenrecht werden. Das Recht auf den Schutz religiöser Gefühle hingegen nicht. Auf solchen Gefühlen herumzutrampeln ist nicht sehr feinsinnig, dass sie aber besonders reizbar scheinen ist kein Verschulden derjenigen, die diese Reizbarkeit nicht teilen.

Ob man sich privat Goldene Kälber hält, ist eines jeden freie Entscheidung. Im öffentlichen Raum aber muss man über sie lachen, sie durch den Kakao ziehen, ja, sie sogar angreifen dürfen. Denn da Glaubensgrundsätze für sachliche Gespräche mit offenem Ausgang nicht sehr empfänglich sind, lässt sich Kritik an ihnen kaum rational begrenzen. Das macht ja Glauben aus: Eine Sache selbst dann noch zu verteidigen, wenn nichts mehr für sie spricht.

Wer glaubt beharrt, auch wenn der Boden wegbricht. Glaube etabliert Regime oder schließt sich ihnen an. Er gibt dem Unbestimmbaren ein totalitäres Gesicht, erschafft Räume ohne Argumente, Orte ohne Diskurs und ein Denken ohne Alternativen. Gläubige halten an Wahrheiten fest, die sich im Zweifelsfall nur auf eine Weise rechtfertigen lassen: durch Unnachgiebigkeit. Mit manchen Psychologen und Kognitionsforschern sehen wir Glaubensgrundsätze als mentale Verhärtungen und als den Kern konditionierter Verhaltensmuster. Wo Glaubenssätze beginnen, beginnt auch Herrschaft, endet jeder Verhandlungsspielraum, werden Menschen unbeweglich und stur. Daher ihr Interesse an Ämtern und die lange Geschichte ihres Hangs zur Autorität, die keineswegs vorbei ist.

Denn zwar sind wir alle Heiden hinsichtlich der meisten Götter, an die unsere Vorfahren noch glaubten. Doch Glauben wandert, von Objekt zu Objekt, und tauft seine Götter durchaus um. Wirtschaftsliberale Dogmatiker etwa schwören die Welt weiter auf Adam Smiths Metaphysik der „Unsichtbaren Hand“ ein, gleich wie widerlegt sie in der Fachwelt ist und wie wenig sie weiterhilft. Der Glaube an „die Märkte“ und das Insistieren auf ihrem Wachstum, die politische „Alternativlosigkeit“ mitten in einer beispiellosen Systemkrise, das automatisierte Beschwören „der Demokratie“ und ihrer Institutionen, aber auch konspirationstheoretische Angriffe auf „das System“ oder die Propaganda von Rechtsradikalen – all das basiert genauso auf adaptierten Glaubenssätzen wie bibeltreue Moralität.

Bleiben wir beim Lieben Gott, so glaubt rund 20% der Weltbevölkerung lieber nicht daran. Ähnlich viele Menschen bekennen sich je zum Islam und zum Katholizismus. Verglichen mit der Lautstärke von deren Lobbies sind Nichtgläubige eher leise, denn sie singen nicht das gleiche Glaubensbekenntnis. Grund genug, ein atheistisches oder agnostisches Coming-out zu unterstützen, wie es Richard Dawkins forderte. Der Evolutionsbiologe fand es z.B. unerträglich, dass die meisten amerikanischen Intellektuellen gottlos dächten und lebten, jeder US-Wahlkampf aber religiöse Klientel umwerbe, als gäbe es keine andere. Denn so verzerre sich das Bild gesellschaftlicher Realitäten.

Solche Verzerrungen gibt es reichlich. Sie zu entblößen könnte eine Tugend sein, vorausgesetzt man hat an einer offenen Gesellschaft Interesse. Aus dem Programm von KOW haben wir eine Ausstellung zusammengestellt und um einige Positionen erweitert, die mit den Mitteln der Satire, der Verdrehung, aber auch des Frontalangriffs Fetische und Goldene Kälber der Gegenwart angeht und die Neigung, vor ihnen auf die Knie zu fallen. Uns hat interessiert, Glaubensmuster nicht nur da zu thematisieren, wo sie offensichtlich sind – im religiösen Kontext –, sondern auch in ökonomischer und politischer Ideologie sowie in der Popkultur. Wo solche Muster nicht allein private, sondern gesellschaftliche Zwangsvorstellungen etablieren helfen und persönliche Gefühle eine Affinität zu Macht und Gewalt entfalten, muss man diese auch denunzieren dürfen.

Alexander Koch
Berlin, November 2012


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