CATPC und Renzo Martens machen mit ihrer Ausstellung bei KOW einen nächsten Schritt in ihrer langjährigen Zusammenarbeit, die tief in koloniale Zusammenhänge und Mechaniken der Kunstwelt eindringt, um sie zu begreifen und zu verändern. Zu sehen sind sechs neue Dokumentarfilme (2022), Martens’ viel diskutierter Film White Cube (2020) und der Launch eines NFTs als neues Werkzeug der Entkolonialisierung in Form digitaler Restitution (2022).
In Lusanga, einer Palmölplantage in der Demokratischen Republik Kongo, entstand seit 2014 ein neues Ökosystem. Als Congolese Plantation Workers Art League (CATPC) haben ehemalige Plantagenarbeiter*innen eine Allianz gebildet, um sich gemeinsam ihre Kultur, ihr Land und ihre Selbstbestimmung zurückzuholen. Ihre Mittel sind die einer nachhaltigen künstlerischen und wirtschaftlichen Praxis, die kolonialer Enteignung und Gewalt entgegentritt.
White Cube
In 78 Minuten erzählt Renzo Martens’ Film, wie CATPC entsteht und wie die Plantagenarbeiter*innen die Kultur der Bildhauerei wieder aufleben lassen, die vor rund hundert Jahren verboten wurde und versiegte. Mit Martens als Vermittler erregen die Skulpturen aus Lusanga internationale Aufmerksamkeit und bringen der Post-Plantation erstes Einkommen. CATPC kauft ein Stück des eigenen, einst gestohlenen Landes zurück und entwickelt eigenständige Agrarstrukturen
Der Film zeigt auf, wie sich der imperialistische, koloniale Museumsbetrieb des Nordens durch unbezahlte Plantagenarbeit finanzierte und noch immer finanziert. In einem Akt selbstbestimmter Restitution oder Repatriierung bauen CATPC und Martens mit dem holländischen Architekturbüro OMA in Lusanga ihren eigenen White Cube und holen so das Museum dorthin zurück, wo es ökonomisch herkommt. Noch sind die Ausstellungsräume jedoch leer.
Plantations and Museums
Eine Serie sechs kurzer Dokumentarfilme begleitet die CATPC-Mitglieder Mathieu Kasiama und Cedart Tamasala bei der Suche nach einer wichtigen Skulptur, die ihre Gemeinschaft einst verlor und die sie nach Lusanga zurĂĽckholen wollen. Die Skulptur wurde 1931 von den Pende gefertigt, um den Geist des belgischen Offiziers Maximilien Balot zu bannen, der nach Vergewaltigungen und anderen Grausamkeiten in einem Akt der Rebellion enthauptet wurde.
Kasiama und Tamasala reisen zum Schlachtfeld des Pende-Aufstands und zum Virginia Museum of Fine Arts in Richmond, USA, wo die Balot-Skulptur aufbewahrt wird. Sie sprechen mit Expert*innen für den postkolonialen Diskurs, enthüllen verborgene Beziehungen zwischen den Plantagen im Süden und den Museen im Norden, und besuchen den Sammler, der die Skulptur 1972 erwarb und später an das Virginia Museum verkaufte. Dort vor Ort fordern Kasiama und Tamasala die Leihgabe der Skulptur, vergeblich.
The Balot NFT
Um sich ihr Erbe zurückzuholen, werden CATPC am 11. Februar 2022 ein NFT prägen, mit dem sie sich die Balot-Skulptur digital aneignen. Die NFT-Technologie, ein digitales Werkzeug zur Erzeugung von privatem Eigentum u.a. an künstlerischen Werken, wird dabei umgenutzt, um privatisiertes kulturelles Gemeinschaftseigentum zurückzufordern und in die Hände der Menschen zu geben, die es hervorgebracht haben, die es brauchen, und die es mit anderen teilen wollen.
So tritt die Balot-Skulptur – der einst gebannte Geist des belgischen Offiziers – wieder in den Dienst der Pende-Community. Ihre Verankerung in der Blockchain und ihre Verbreitung als NFT wird es möglich machen, die Kräfte der Skulptur zu reaktivieren und vormals gestohlenes und geplündertes Land zurückzukaufen, um wieder nachhaltige Formen der Verwaltung, der Landnutzung und des Aufbaus von Gemeinschaften einzuführen und zu finanzieren. Der Wert eines NFT von 0.1 Ether entspricht in Lusanga dem Kaufpreis eines Hektars Land.
Kommentar
Soweit die Darstellung der bei KOW gezeigten Projekte und Werke. Die Zusammenarbeit von CATPC, Renzo Martens und vielen weiteren Akteuren, die mit dem Projekt in Lusanga verbunden sind, begann vor mehr als zehn Jahren. Die internationale Kritik an dem Projekt hat dessen Verlauf maßgeblich mitgeprägt. Sie wirkte als Korrektiv bei einem komplizierten Unterfangen, bei dem es darum geht, globale Beziehungen, die oft von Gewalt geprägt waren und sind, an einem bestimmten Ort so zu verstehen, zu benennen und herauszufordern, dass Selbstbestimmung nicht länger ein krass ungleich verteiltes Privileg bleibt.
Gegen dieses Langzeitprojekt und einzelne seiner Schritte ist immer wieder polemisiert worden. Dabei stand meist Martens’ Rolle als Initiator und Produzent im Zentrum (seltener das Projekt selbst). Da es zum Wesen der Polemik gehört, sachliche Argumente zu verkürzen und Hintergründe nicht hinreichend zu kennen (oder wo nötig zu recherchieren), möchte KOW hierzu folgendes sagen:
Das Projekt in Lusanga ging ursächlich aus Fragen hervor, die Martens in seinem 2008 veröffentlichten Film Enjoy Poverty aufwarf: Wenn Siegergesellschaften Profit daraus schlagen, auch das Leiden ihrer Opfer noch kulturell und medial zu vermarkten – ist dann das Leiden dieser Opfer ein Kapital, das sich diese selbst aneignen und vermarkten können, um ein Stück ökonomischen Ausgleich zu schaffen? Ein provozierender, vielleicht perverser, aber nicht unlogischer Gedanke.
Nach Enjoy Poverty sah Martens, dass dieser Gedanke insofern selbst polemisch war, als er die Wirkungszusammenhänge von Macht, Geld und Gewalt abstrahierte, anstatt sie konkret anzufassen. Wie White Cube dokumentiert, nutzte Martens in Folge seine europäischen Privilegien, um diese Wirkungszusammenhänge symbolisch, politisch, und auch nachgerade physisch (mit dem eigenen Auftreten als weißer Mann und Künstler) zu provozieren. Doch diese Provokation galt nur noch zum Teil dem weißen Imperialismus und der Kritik an ihm.
Denn mit der Gründung von CATPC 2014 ging Martens’ Projekt in ein kollektives Unterfangen über, in der sich Rollen und Aufgaben, Interessen und Ressourcen, Autorschaft und finanzieller Gewinn verteilten, um mit der Post-Plantation ein neues Narrativ und ein neues Handlungsmodell der faktischen Unabhängigkeit hervorzubringen. Seither entstanden in Lusanga soziale, wirtschaftliche und künstlerische Strukturen, auch Eigentumsverhältnisse, die sich autonom fortentwickeln und heute projektbezogen mit Martens, Human Activities in Amsterdam, und anderen kooperieren.
KOW hat diesen Prozess begleitet und vertritt heute Renzo Martens ebenso wie CATPC als ein künstlerisches Kollektiv mit individuellen Stimmen, die das Programm der Galerie bereichern. Dabei ging und geht es auch darum, an einem performativen Prozess teilzuhaben, der von Lusanga und Amsterdam ausgeht und immer wieder neue Perspektiven, Akteure, Interessen und Probleme hervorbringt und hervorbringen soll. Martens’ Praxis lässt sich gut in einem Satz zusammenfassen, den er in einem Gespräch sagte, und den die Galerie mit unterschreibt: „I don’t want to talk about the problem, I want to have the problem.“ Damit meinte er seinen künstlerischen Ansatz, dem Komplex kolonialer Perversionen dadurch zu begegnen, dass er sich selbst als Europäer in sie verwickelt und dabei vor aller Augen Verantwortung für Rollen übernimmt, die problematisch sein müssen.
Im kolonialen Norden wurde das mitunter als zynisch oder naiv wahrgenommen. In Lusanga erschien es vielen als richtig. Denn anstatt die Lösung von Problemen zu erwarten, von denen jeder weiß, dass sie sich so bald nicht werden lösen lassen und schon gar nicht mit den Mitteln distanzierter Kritik, ging CATPC gemeinsam mit Martens in die Erfahrungen der Vorurteile, des Rassismus, der Verblendung, der Ungleichheit, der strukturellen und persönlichen Gewalt hinein, um von dort aus die Herrschaftsbeziehungen auf neue Weise zu „bewohnen“, die man ohnehin bereits am Leib hatte, und so vielleicht tatsächlich auch zu verändern, jedoch von einem neuen Standpunkt aus.
Inzwischen sind die Positionen und Interessen von CATPC manifest: Mit dem Rückkauf von Land, das ihnen globale Konzerne weggenommen hatten, wird eine entscheidende materielle Grundsicherung geschaffen. Wiedergewonnene künstlerische Praxen, die heute in lokale wie auch in internationale Kontexte eingebettet sind, verfolgen unterschiedliche Ziele, manche von ihnen in Kooperation mit Martens, andere nicht. Diese Praxen reklamieren zu Recht ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von einem noch immer gewaltsamen Plantagenregime, das sie seit über hundert Jahren gezielt unterbindet.
Simon Gikandi von der Princeton University, Autor von Slavery and the Culture of Taste, ermutigt in einem der Filme Tamasala und Kasiama, den begonnen Weg weiterzugehen: „The people who critique you may be under the assumption that those who live on the plantation are not interested in art, or are not capable of art. You have to be strong and say: we do this for ourselves, for our community. We have the right to art.“ Und Ariella Aisha Azoulay von der Brown University, Autorin von Potential History: Unlearning Imperialism unterstreicht: „There is no other way to defeat imperialism than to build your own world.“
Dass Cedart Tamasala, Mathieu Kasiama und CATPC die Skulptur von Balot digital als NFT wieder in ihren Besitz bringen, heißt übrigens nicht, dass sie die materielle Skulptur, die im Virginia Museum of Fine Arts steht, dem Museum überlassen wollen. Aber das ist eine andere Geschichte und ein weiterer Schritt in diesem langen Prozess, der für Probleme, die der ganzen Welt bekannt sind, nach Lösungen sucht, die so kompliziert sind wie diese Welt selbst.
Alexander Koch
Berlin, Februar 2022