KOW Berlin
Kuratiert von Alexander Koch und Nikolaus Oberhuber
Das Werk der Dokumentar- und Experimentalfilmerin Barbara Hammer gilt als eine der ersten und umfangreichsten Darstellungen lesbischer Identität, Liebe und Sexualität.
Im Kunstfeld wurde Hammer bislang noch wenig rezipiert. Film-Retrospektiven im New Yorker MoMA (2010) und in der Tate Modern London (2012) rufen aber nun die 1939 in Hollywood geborene Pionierin des Queer Cinema als eine Künstlerin ins Gedächtnis, die sich dem Feminismus und der homosexuellen Emanzipation ebenso verschrieb wie dem Avantgardekino und der Performance. Anlässlich ihrer achten Teilnahme an den Internationalen Filmfestspielen Berlin zeigen wir Barbara Hammers erste Einzelausstellung überhaupt und legen dabei den Fokus auf die Siebzigerjahre.
Sofern es die Liebe zwischen Frauen bis dato überhaupt ins Kino geschafft hatte, blieb sie eingebettet in eine Matrix heterosexueller – und fast immer nur männlicher – Blicke und Erzählformen. „Selbst wenn die Charaktere lesbisch waren, entwarf sie das Skript doch innerhalb einer heterosexuellen Welt des Rollenspiels, Liebemachens, des häuslichen und beruflichen Umfelds“, schrieb Hammer (1). Um die Passion für das gleiche Geschlecht aus der eigenen Perspektive in die Kinos zu bringen, wiesen Barbara Hammer und der Kreis lesbischer Feministinnen, dem sie Anfang der Siebzigerjahre in San Francisco angehörte, die konventionelle Filmpraxis zurück und begannen bei null. Hammer experimentierte ab 1970 mit filmischen Repräsentationen eines neuen lesbischen Selbstbewusstseins, das sich gerade erst aus gesellschaftlichen Tabus befreite. „Unser Hauptanliegen war Sichtbarkeit – aus dem einfachen und traurigen Grund, dass Lesben, die Kino machten, wenige oder gar keine Bilder vorfanden. Für uns war die Kinoleinwand leer. Nicht nur marginalisiert, sondern gar nicht da. Es gab kein Kino, das wir dekonstruieren, es gab keinen Blick, den wir analysieren konnten. […] Wir stellten uns in die Lücke, ins Unsichtbare, in den leeren Screen und nannten uns selbst ‚Lesben‘.“ (2)
Mit der Handkamera dreht Hammer zunächst auf 8-mm. Programmatisch zeigt ihr zweiter Film von 1968 – da ist sie noch verheiratet und heißt Barbara Ward – eine Grabschändung. Künstlerisch noch am Anfang stört sie dennoch die Ruhe der Toten, um sich selbstbewusst in deren Mitte ein trotziges Denkmal zu setzen: „Barbara Ward Will Never Die“. Die junge Filmemacherin reklamiert einen Platz in der Geschichte. Von nun an dokumentiert sie ihr Comingout und ihre sexuelle Befreiung („X“, 1973). Sie entwirft (Selbst-)Bildnisse lesbischer Beziehungen und Lebensläufe („Double Strength“, 1978) und sucht nach einem aktiven, beteiligten und leidenschaftlichen Blick auf lesbischen Sex. Sie erschließt tabuisierte Themen wie den weiblichen Orgasmus und die Menstruation. „Menses“ (1974) und „Superdyke“ (1975) greifen Impulse der aufkommenden Performancebewegung auf. In kollektiven Aktionen und rituellen Experimenten entstehen sie binnen Stunden. „Superdyke“ verquickt die feministische Besetzung des öffentlichen Raums – einschließlich des Rathauses von San Francisco – mit der parodistischen Aneignung kinematographischer Männlichkeitsmythen von Robin Hood bis Easy Rider. „Blue Film No 6: Love Is Where You Find It“ (1998) hingegen basiert auf Found Footage. Aus einem Pornostreifen – ein flotter Dreier – schneidet Hammer den männlichen Part heraus. Übrig bleiben die beiden Damen und eine amüsante Kurzfassung voyeristischer Plattitüden.
Oft steht Hammer vor der Kamera, allein oder mit Freundinnen, und füllt die Kinoleinwand mit sich selbst. Sie nimmt Teil an dem feministischen Projekt, das Private – hier sogar das Intimste – öffentlich zu machen. Bis heute entsteht ein rund 80 Filme umfassender Korpus aus kurzen experimentellen und bald auch längeren, dokumentarischen Formaten. Immer wieder reflektiert Hammer, die 1983 nach New York geht, das eigene Leben und den eigenen Körper, so ihre Krebserkrankung in „A Horse is Not A Metaphor“ (2008). Zugleich arbeitet sie an filmischen Strukturen jenseits von Narration, linearem Raum und linearer Zeit, fungiert als Chronistin marginalisierter Frauenbiographien, experimentiert mit dem Filmmaterial selbst.
1+2 Barbara Hammer, “The Politics of Abstraction,” in Queer Looks: Perspectives on Lesbian and Gay Film and Video, Martha Gever, John Greyson, Pratibha Parmar (Hg.), New York/ London: Routledge, 1993
Alexander Koch
Februar 2011