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Clemens von Wedemeyer. Social Geometry, KOW (2024)

Wie ordnen wir uns an? Wie werden wir angeordnet? Und wie lässt sich das zeigen? Clemens von Wedemeyers neue Filme, die KOW anlässlich des Gallery Weekend 2024 zeigt, tauchen ein in die Frage nach der Netzwerkhaftigkeit unserer Existenz und problematisieren deren Darstellbarkeit.

Hauptwerk der Ausstellung ist ein abstrakter Animationsfilm. Vor schwarzem Grund nehmen weiße Punkte und Linien immer neue, immer kompliziertere und immer fulminantere Formen an: Beziehungen zwischen Individuen, menschliche Netzwerkwelten, soziale Geometrien. Die eindrückliche Stimme der britischen Musikerin Anne Clark lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was wir in der Abstraktion sehen werden: A group of friends. A class system. A revolution, erupting. Doch je komplexer die Konstellationen, umso deutlicher werden die Grenzen der modellhaften Darstellung – was sich sozial ereignet, mögen vielleicht Maschinen noch nachvollziehen, Menschen nicht.

Wedemeyers Interesse an Gruppendynamiken, menschlichen Massen und ihrer Macht im Bild prägt sein Werk seit 25 Jahren. Auch in seinem neuen Film Social Geometry führt der Weg vom einzelnen Subjekt hin zur Masse, zu den sehr, sehr vielen, und zur (Un-)Lesbarkeit ihres Verhaltens.

Dabei gelingt es Wedemeyers Installation, sich in zahlreiche Richtungen zugleich zu öffnen und selbst zu einem Netzwerk möglicher Anknüpfungspunkte zu werden. Denn die schematische Illustration des Sozialen entwickelte sich über Jahrhunderte und wurde eine Wissenschaft, deren Historie Social Geometry spiegelt – zugleich wird ein Gesellschaftsmodell leicht zum Kippbild, kann umschlagen in kybernetische Phantasmen, Esoterik, Scheinvernunft, oder allgemein: in eine Allegorik, die Repräsentation nur vorgaukelt und der die Wirklichkeit entwischt.

Wedemeyers zweiter Film, Surface Composition, zeigt eine andere Seite der Netzwerke, der heutigen Plattformen, über die sich Menschen anordnen und von denen sie angeordnet werden.

In Kalifornien filmte er dokumentarisch-sachliche Blicke auf Orte realer Netzwerkmacht wie die Firmensitze von Apple, Meta, Amazon, Space X und des United States Postal Service, aber auch Infrastrukturen des Handels, Container und Minen. Seine Bilder zeigen nichtssagende Gebäudekomplexe systemrelevanter Firmen, leere Straßen, ein paar Transportfahrzeuge. Die Realität heutiger Netzwerke ist opak, ihre Erscheinungslosigkeit wird in der Addition der Montage sichtbar, getragen vom psychedelischen Soundtrack des ungarischen Improvisationsmusikers Zsolt Sőrés.

Herkömmliche Prinzipien der Repräsentation von Macht (und Masse) haben sich im Netzwerkfeudalismus unserer Tage ins Gegenteil verkehrt. Je einflussreicher die Akteure und Strukturen, die Orte und Prozesse sind, um so unsichtbarer erscheinen sie.

Alexander Koch
April 2024

Ausstellungstext KOW


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