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Hito Steyerl. Left to Our Own Devices. KOW

Hito Steyerls erste Galerieausstellung in Deutschland – wir zeigen fünf Videoinstallationen aus den Jahren 2012 bis 2015 – ist in das Licht eines Bruce Lee-Zitates getaucht: „Be water, my friend!“. In A Warrior‘s Journey rät der Kung-Fu-Meister einem Gefährten, der in den Kampf zieht, so gestaltlos zu sein wie Wasser, dass sich blitzschnell neuen Situationen anpassen und jede Form annehmen kann. „Be formless, shapeless, like water!“.

Es ist eine Formel fürs Überleben im Angesicht einer Übermacht. Eine Losung, die im Handbuch jeder Guerilla-, Hacker- und Aktivistenbewegung stehen könnte – aber auch in den Handbüchern für Abhörprogramme, Finanzmarktprodukte und hybride Kriegsführung. Überall da, wo es von Vorteil ist, seine Position im nu in eine andere zu konvertieren. Bruce Lees Aufruf zum Einschmelzen aller angreifbaren Eigenschaften findet heute sein universelles Echo in einer Ära der Liquidität.

Hito Steyerls Praxis erscheint vor diesem Hintergrund auf der Höhe der Zeit. Man meint in ihr die fluide Beweglichkeit des Kung-Fu zu erkennen, mit der sich gesellschaftliche Geschehnisse affirmativ aufgreifen, analytisch betrachten und kritisch kontern lassen. Liquidity Inc. (2014) steht in Steyerls Werk exemplarisch für das ineinander- und auseinanderfließen von Realität und Spekulation, Theorie und Unterhaltung, Gesellschaftsdiagnostik und Traumfabrik. „Be water!“ wird in der raumgreifenden Videoinstallation im Obergeschoss der Galerie zur Metapher für eine materielle Existenz im irrationalen Wechsel ökonomischer Gezeiten, für eine amorphe Subjektivität, die im Fluss des Kapitals schwimmt. Jacob Woods, ein in Vietnam geborener Lehman Bothers-Analyst, der nach der Bankenpleite 2008 in den Kampfsport wechselte, ist der Protagonist einer von Wirtschaftswettervorhersagen und digitalen Animationen durchkreuzten Geschichte über Selbstbestimmung im Angesicht unvorhersagbarer Finanznaturgewalten, die im Produktionsprozess des Films auch Hito Steyerl selbst ereilen.

In drei Video-Lectures erarbeitet die Theoretikerin und Künstlerin eine Sprache, welche die Verquickungen von Gewalt, Geld, Macht und Kunst nacherzählt. Dabei findet Steyerl ihre Stimme inmitten der Verhältnisse, von denen sie spricht, weil es auch ihre eigenen sind. In Is the Museum a Battlefield (2013) arbeitet sie nicht nur heraus, dass das Museum lange schon einer der gesellschaftlichen Schauplätze ist, an dem sich die Kämpfe um politische und wirtschaftliche Vorherrschaft abspielen. Sie erkennt sich auch selbst inmitten dieser Kämpfe, versteht ihre eigene Beziehung zum militärisch-kulturellen Komplex. Als sie die Herkunft einer Maschinengewehrkugel untersucht, die ihre Freundin Andrea Wolf, eine PKK-Kämpferin, 1998 tötete, findet sie in dem Waffenproduzenten Lockheed Martin nicht nur den Hersteller des Geschosses, sondern auch einen Sponsor der Istanbul Biennale, auf der sie ihren Vortrag hält, sowie den Mäzen ihrer eigenen Ausstellung im Art Institute in Chicago, in der unter anderem ihr Film über den Tod Andrea Wolfs gezeigt wird.

Wer das Problem bewohnt, von dem er spricht, kann glaubhaft von ihm handeln. Und nur sofern Kunst selbst ein Teil der Welt ist, auf die sie schaut, kann sie etwas davon verstehen. Duty Free Art (2015) stößt tief hinein in eine soziale Funktion der Kunst: Freihandelslager, an denen Kunstspekulationsgüter steuerfrei und unsichtbar gehandelt werden, sind ebenso wie Bürgerkriege ein wichtiges Rückgrat des internationalen Kunstbetriebs. Beide erleichtern die Umverteilung von Gemeingütern in private Hände und sind Katalysatoren für globale Ungleichheit. Des weiteren stellt Steyerl anhand von Wiki-Leaks-Dokumenten dar, wie sich der Louvre, das British Museum und auch Stararchitekt Rem Koolhaas dem Syrischen Assad-Regime als Museumsplaner und Gentrifizierer andienten. All das beschreibt sie als Top-Down organisierte Produktions- und Kommunikationsbedingungen heutiger Kunst, die hinter eben dieser Kunst verborgen bleiben. Steyerl schlägt eine Perspektivumkehr vor, um Bottom-Up die eigene Realität zu entschleiern.

Auch in ihrer dritten Video-Lecture spricht Hito Steyerl von der sozialen Funktion von Kunst und Künstlertum in der Gegenwart: I dreamed a dream: Politics in the Age of Mass Art Production (2013). Einst habe die technische Vereinfachung von Schusswaffen das Gewaltprivileg der Oberschicht demokratisiert. Heute sei Kunst ein Massenphänomen geworden, ihr Elitismus gebrochen. Was aber wird da demokratisiert? Das Schlange stehen für erniedrigende Talentwettbewerbe? Die vergeblichen Hoffnungen einer wachsenden Klasse der „Urban Poor“ auf eine Schaffenskarriere? Steyerl macht Victor Hugos Les Misérables zum Drehpunkt für eine Erzählung über Rebellion und Selbstausbeutung, Künstlermythos und Kulturindustrie. In dieser Erzählung sitzen der Guerillero Comrade X und die Talentshowlegende Susan Boyle zusammen mit Hito Steyerl und ihren Zuhörern am Ende im selben Boot, dem seltsamen Traum vom Freiheitskampf im Kreativkapitalismus.

Der letzte Akt der Ausstellung spielt im Museum, dem Art Institute of Chicago. Der Sicherheitschef Martin Whitfield und der Museumswärter Ron Hicks erklären für die Kamera, wie sie die wertvollen Kunstwerke – auf der Skala möglicher Angriffsziele ein „Soft Target“ – schützen. Ihre Erfahrungen im bewaffneten Polizeidienst und ihre Demonstrationen eines Verteidigungsfalls im White Cube verwandeln das renommierte Ausstellungshaus während des zwanzigminütigen Films Guards (2012) buchstäblich in eine Kampfzone, in der es jeden Meter Wand und die Stille der Kontemplation durch den Sicherheitsapparat zu schützen gilt – einschließlich Hito Steyerl selbst, die wir im Abspann gut gelaunt auf einer Museumsbank sitzen sehen als stellvertretende Betrachterin und zugleich als Künstlerin, um deren institutionskritisches Auftragswerk Guards sich das Sicherheitsteam des Art Institutes künftig kümmern wird.

Vielleicht ist es die Glaubwürdigkeit ihrer Position, die Hito Steyerl für viele zu einem Referenzpunkt der zeitgenössischen Kunst macht. Ihre politische Haltung scheint klar, doch diese Klarheit entscheidet und zeigt sich erst, und jedes Mal erneut, in der Konfrontation mit dem, was eine – ihre, Steyerls – künstlerische Praxis in jedem Moment als gesellschaftliche Realität vorfindet, aufsucht oder imaginiert. Sie geht über die Brücke ihrer eigenen Subjektivität, ihrer eigenen intellektuellen und ästhetischen Produktionswirklichkeit, und findet auf dem Weg eines spekulativen Dokumentarismus zwischen den Brückenköpfen die Kräfte, die an ihr, an uns, an der Kunst ziehen, und zeigt diese Kräfte an. Jede ihrer Arbeiten hat einen optimistischen Hoffungsüberschuss, für den Gegebenes nicht gegeben ist, und so läuft ihr Werk auf die Möglichkeit eines Widerstands hinaus, der mit den Füßen auf dem Boden von Tatsachen steht und über sie hinausdenkt

 

Ausstellungstext KOW, 15 Sep. – 5. Dez. 2015

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